OSTKÖRPER erzählen

Das Seminar möchte sich Ostdeutschland in den Jahren seit der „Wende“ aus verschiedenen Perspektiven nähern. Wir beginnen mit der gemeinsamen Lektüre einiger Texte, die sich speziell mit Ostdeutschland beschäftigen und solchen, die Fragen des ‚Körpers‘ aus feministischer, ethnographischer, mediengeschichtlicher und psychoanalytischer Perspektive aufrufen. Im Anschluss sichten wir gemeinsam Material. Dabei kann es sich zum Beispiel um Dokumentar-, Amateur- und Spielfilme, literarische Texte, Fotografien, Zeitschriften aus den „Wende“-Jahren, DIY-Anleitungen zum Selbstbau von Kleincomputern oder Positionen aus der zeitgenössischen bildenden Kunst handeln. Das leitende Erkenntnisinteresse für den gemeinsamen Austausch ist erstens, inwiefern die Kategorie des ‚Körpers‘ als menschlicher Leib, der die Transformationserfahrungen der „Wende“ bis heute erlebt, aber auch in einem weiteren Verständnis etwa als Gehäuse von technischen Geräten und Wohnumgebung zum Verständnis ostdeutscher Geschichte hilfreich ist. Zweitens soll es darum gehen, wie die „Wende“ sich nicht nur als abgrenzbares historisches Ereignis, sondern vielmehr als bis heute andauerndes Prozessgeflecht beschreiben lässt, das sich in den Körpern der Menschen und in ganz verschiedenen Medienumgebungen ereignet und auf sehr verschiedene Weisen beschreiben und rekonstruieren lässt. Die in den unterschiedlichsten Artefakten zirkulierenden Körper, Gehäuse und Umgebungen erzählen etwas und wollen zugleich erzählt werden; wie dies jeweils geschieht, finden wir gemeinsam heraus. Aufbauend auf unseren Materialsichtungen können wir schließlich gern über eigene Ausdrucksformen, die künstlerische Praxis und mögliche Darstellungsverfahren für das Verhältnis von individueller und kollektiver Geschichtserfahrung sprechen. Die genaue Auswahl der thematischen Schwerpunkte und dafür zu besprechenden Beispiele treffen wir gemeinsam in der vorbereitenden Sitzung.

Zur Einstimmung ins Thema kann bspw. die Sichtung von Dingen aus folgender Liste beitragen:

Thomas Heise: Imbiss Spezial (1990, bpb: Link)

Christoph Schlingensief: Das deutsche Kettensägenmassaker (1990)

Petra Tschörtner: Berlin – Prenzlauer Berg (1991)

Angelika Ngyuen: Bruderland ist abgebrannt (1991, bpb: Link)

Thomas Heise: Material (2009, arte-Mediathek: Link)

Karsten Krampitz, Markus Liske, Manja Präkels (Hg.) Kaltland. Eine Sammlung (2011)

Henrike Naumann: Triangular Stories (2012); Anschluss ‘90 (2018)

Nadja Buttendorf: Robotron. A Tech Opera (2018–2019, Youtube: Link)

Jan Wenzel (Hg.): Das Jahr 1990 freilegen. Remontage der Zeit (2019)

Manja Präkels: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß (2019)

Viviane Andereggen, Jano Ben Chaabane: Kleo (Staffel 1, 2022)

Sebastian Jung: Bewegung Liebe (2018, Link); OST DEUTSCH NOW (2019, Link)

Paula Fürstenberg: Weltalltage (2024)

Alexander Wagner (*1987 in Hoyerswerda) forscht und lehrt an der Bergischen Universität Wuppertal u.a. zu ostdeutschen Körperkonzepten sowie zur Energiekultur, interessiert sich für Geschlechtergeschichte, Mediengeschichte, Formen kultureller Selbstvergewisserung, die Grenzbereiche von Kunst und Wissenschaft, (wissenschaftlichen) Modellbau und arbeitet als freier Kurator. Er hat Germanistik und Philosophie studiert und über die Kontinuitäten des deutschen Kolonialismus im Nationalsozialismus promoviert.