Lektüren
Prof. Dr. Veronica BiermannVertretungsprof.
Dr. Pablo AbendDesigntheorie/Design- und Architekturgeschichte
Vertiefungsmodul (MA) Design Studies
Mittwochs (NW) 14:15–15:45 Uhr
Hybrid Online/Präsenz
Unser Seminar ist als Fortführung gedacht. Hatten wir im letzten Semester Grundbegriffe des Designs (Disegno, Ornament, Funktion, Form etc.) in ihrem jeweiligen theoriehistorischen Kontext (Vormoderne, Industrialisierung, Moderne, Postmoderne) analysiert, wollen wir uns in diesem Semester gegenwärtigen Theoriediskursen bzw. einzelnen Diskursfeldern annähern. In einer Art Umkehrbewegung sollen über die Lektüre ausgewählter Texte gegenwärtige gesellschaftliche, politische, ökologische und damit letztlich ökonomische Transformationsprozesse in den Blick genommen und danach befragt werden, ob und wie Designtheorie und Designgeschichte neu gedacht oder gar geschrieben werden kann. Ein ambitioniertes Vorhaben. Aber irgendwann sollte damit ja mal begonnen werden.
Um die Gegenwart besser verstehen zu können (zumindest teilweise) ist es hilfreich, sich in der Zeit sehr weit zurückzubewegen. Sehr, sehr weit. Was paradoxer klingt, als es möglicherweise ist. Unsere Überlegungen zum Design, seinen Theorien und Geschichten wollen wir nicht wie gewohnt mit Industrialisierung und Moderne beginnen lassen, sondern mit dem Auftreten des Homo sapiens. Nicht der Mensch als Beherrscher der Natur, sondern der Mensch auf dem Prüfstand wird unsere Lektüren begleiten. Unsere Motivation ist es, die dominanten und oft wiederholten Narrative des modernen, westlichen Denkens kritisch zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen. Am Anfang steht daher der veränderte Blickwinkel, den einzunehmen uns die historisch-anthropologische Neujustierung unseres Wissens der Menschwerdung des Sapiens ermöglicht: An der Vorstellung des Exzeptionalimus des (westlichen) Menschen darf gerüttelt werden. Was eine grundlegende Kritik dichotomer Unterscheidungen wie Natur/Kultur, Technologie/Gesellschaft, archaisch/modern, Subjekt/Objekt nach sich zieht.
Im Seminar wollen wir uns daher drei Themenfeldern widmen, von denen wir meinen, dass hier die kritische Auseinandersetzung bereits stattfindet und das Potential für neue Narrative entwickelt wird. Dabei handelt es sich (1) um das Konzept des Anthropozäns, das der Menschheit drastisch vor Augen führt, dass sich das westliche Fortschrittsdenken nicht mehr weiterführen lässt. Doch die Kritik an diesem Konzept macht deutlich, dass die Verantwortlichkeiten für die großen Krisen ungleich verteilt sind. Darum wird es auch im Themenfeld (2) um Dekolonisierung gehen. Hier widmen wir uns zunächst der Kritik am westlichen Denken und Handeln, die durch und durch vom Kolonialismus zutiefst imprägniert sind. Anschließend soll es auch um die Frage gehen, was es für das Design heißt, diese Kritik ernst zu nehmen und welche Schlüsse wir daraus ziehen sollten. Beide Themenfelder sind verbunden mit (3) dem Posthumanismus, der als große, äußerst heterogene theoretische Strömung an der Dezentrierung des Menschen ansetzt und dabei gegen die Vorstellung biologischer Determinismen agiert, um ein nicht dualistisches Verständnis von Natur und Kultur zu entwickeln.
Die Veranstaltung ist eine Gemeinschaftsproduktion von Designtheorie (Prof. Pablo Abend) und Design- und Architekturgeschichte (Prof. Veronica Biermann)