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Montage und Metamechanik.
Dada Berlin - Ästhetik von Polaritäten

(mit Rekonstruktion der Ersten Internationalen Dada-Messe und Dada-Chronologie) Berlin: Gebr. Mann Verlag 2000. ISBN 978-3-786115-25-0

Montagen und metamechanische Konstruktionen bildeten sich als polar widerstreitende Verfahren von Dada-Berlins radikaler Umwertung der Kunst zwischen 1917 und 1922 heraus. In einer Pendelbewegung zwischen "Allem" und "Nichts" eröffneten sie artistische Spielräume einer prozessualen Konzeption von Ambivalenzen und Extremen. Nach dem epochalen Kulturschock des Ersten Weltkrieges verharrten die Dadaisten nicht in einem gebrochenen Kulturpessimismus, sondern begegneten "dem Bankrott der abendländischen Kultur" (Grosz) mit einer verneinenden Bejahung einer "Balance in Widersprüchen" (Hausmann), die das Unwägbare, das Abgründige, das Zwiespältige zuließ - denn diese Ungewissheiten verbürgten eine vitale Gewissheit des Lebens, im Gegensatz zu den bisherigen Verlogenheiten der Kultur. Mit der "Einführung des neuen Materials" verbanden die Künstler daher ein kühnes Bekenntnis zum Leben und zu dessen polaren Produktions- und Bewegungsformen, die sie als "transzendente Repulsion gegen den leeren Raum" (Huelsenbeck) einsetzten. Ein nicht endender, mehrdeutiger Materialisierungsprozeß wurde ausgelöst und ließ ein "Erzeugnis" im Schnittpunkt von Kulturrevolte, epochalen Umbrüchen und einsetzender Medienrevolution entstehen. In den Montagen wurde nicht nur das Material Destruktions-, Kombinations- und Verfremdungsstrategien unterzogen, sondern auch der Prozess der Wahrnehmung selbst, ihre mediale Industrialisierung und Konditionierung. Als Polit-Allegorie transformierte dieses Verfahren eine Spannung zwischen Verfall und Dynamik, die auf ein Mehr an Leben, Mehr an Kraft, Mehr an Dada, das im permanenten Kampf gegen die Kunst, die Gesellschaft, gegen sich selbst gewonnen werden sollte. Das unersättliche Aufbegehren ging mit der Suche nach dem erfüllten Augenblick einher, präsent zu sein im Hier und Jetzt, im Erleben der Simultaneität, "Alles" zu erfassen - mitten in der Gesellschaft und zugleich gegen sie, ein Potential an Freiheit zu behaupten, das die Kultur bisher verwehrte. Polar bezogen auf diese exzessive Suche nach dem erfüllten Augenblick der Zeitgemäßheit stand das stets gegenwärtige Bewusstsein der Leere des flüchtigen Augenblicks, der Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit. Die Ekstase-Techniken der Montagen produzierten ihre eigene Ernüchterung, die Bewegung ihre Erstarrung, die Gleichzeitigkeit ihre stagnierende Gegenwart, das turbulente Mediengeschehen seine Ereignislosigkeit von immer gleichen Bedingungen einer machtvollen Verflechtung von Kapital, Politik, Medien, Industrie und Kultur.

Dieses andere, das "Nichts", das den Montagen immanent war, offenbarten seit 1919 die metamechanischen Konstruktionen mit einer abstrahierend-technoiden Gestaltung, bezogen nun den "leeren Raum" ein, verwandelten ihn aber mit den universalistischen Mitteln des technischen Diagramms zu heuristischen Entwürfen einer neuen Verbindung von Kunst und Technik, Kunst und Wissenschaft, spielerisch und rational zugleich, erfüllt von irritierender Helle und Klarheit. Die sich gegenseitig bedingenden durchdringenden Antriebskräfte der Montagen und der metamechanischen Konstruktionen lassen sich auf Nietzsches Einfluss seiner Kunst- und Lebensphilosophie zurückführen - auf das komplexe Zusammenspiel dionysisch-apollinischer Antagonismen und seine Forderung, die Kunst unter der Optik des Lebens, die Wissenschaft unter der Optik der Kunst zu sehen. In der "Ersten Internationalen Dada-Messe" verdichtete sich die Artistik der polaren Verfahren zu einem produktiven Gesamtzerstörwerk, gattungsauflösend und werksprengend - zu einer grotesken Apokalypse, in der das Fortschrittsdenken ebenso wie die Ideologieverfallenheit, besonders das deutsch-nationalistische kriegstreibende Weltgerichtspathos, auf dem Scheiterhaufen Dadas landeten.