Judith Glaser
Designtheorie
Aufbau- (BA) und Vertiefungsmodul (MA)
Donnerstags (NW) 14:15–15:45 Uhr
Online-Seminar
Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen deutlich, (digitale) Technologien sind fester Bestandteil der menschlichen Realität geworden. Technologische Schlagworte wie Ubiquitous Computing, Machine Learning und Big Data finden sich dabei Seite an Seite mit sozialen Themen wie Beschleunigung und Entfremdung und Transparenzgesellschaft. »Die gleichen Techniken und Praktiken, die einerseits eine allgemeine Berechenbarkeit, exakte Prognostik und umfassende Simulierbarkeit der Welt vorantreiben und versprechen, verunsichern andererseits grundlegende Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, Gesetzmäßigkeit und Zufall, Wirklichkeit und Möglichkeit« (Kaiser, 2014).
Die Verzahnung gesellschaftlicher und technologischer Fragestellungen hat längst einen Punkt wuchernder Komplexität erreicht. Die Verflixtheit (wickedness) der wicked problems basiert auf einer Unschärfe, die diese durch eine Mischung von logisch kalkulierbaren und unkalkulierbaren Faktoren erlangen. Dadurch bilden sie die Grenze dessen, was durch linear verzweigte Prozesse bewältigt werden kann (Petruschat, 2017). Es ist ihr zweigleisiger Charakter aus planbaren und unüberschaubaren Anteilen, der mit Blick auf unsere technologische Welt relevanter ist denn je. Gesellschaftliche Auswirkungen sollten folglich nicht gesondert betrachtet oder gar gestaltet werden, vielmehr sind sie integraler Bestandteil des technologischen Entwicklungsprozesses selbst. Wie finden ethische, rechtliche und soziale Implikationen darin Einzug? Für die Konzipierung und Umsetzung nicht nur neuer, sondern auch gesellschaftlich wünschenswerter Technologien bedarf es deshalb eines ständigen Diskurses. Doch wer führt diesen Diskurs und wo?
Im Seminar wollen wir zunächst die Qualität gesellschaftlich-technologischer Fragestellungen genauer beleuchten. Dabei geht es nicht um das Erzeugen dystopischer oder utopischer Visionen, sondern um eine (durchaus persönliche) Bestandsaufnahme. Anhand verschiedener Texte aus Design, Philosophie, Soziologie und Informatik (genauer Mensch-Maschinen-Interaktion) wollen wir uns an diese großen Fragen herantasten um am Ende auch mittels eigener (praktischer) Beiträge Standpunkte zu beziehen. Ziel des Seminars ist ein vielseitiger Diskurs über unerwünschte Nebenfolgen sowie Chancen, die die Erforschung und Entwicklung von interaktiven Technologien bereithalten.
Judith Glaser ist gelernte Goldschmiedin mit Berufserfahrung im In- und Ausland. Sie hat einen Master-Abschluss in Produktdesign mit Schwerpunkt Interaktionsdesign von der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Seit 2018 arbeitet sie für Studio NAND, einem Berliner Designstudio, das sich auf datengetriebene Benutzeroberflächen und interaktive Technologien spezialisiert hat. Diese Arbeit und ihre Lehrtätigkeit für das interdisziplinäre Projektformat 'Coding IxD' führten zu ihrem Forschungsinteresse an Kompetenzen und Wissenskonstellationen an der Schnittstelle von Design und Informatik. Diesem geht sie derzeit in einer Doktorarbeit nach.
Literaturhinweise
- Bischof, Andreas, Soziale Maschinen bauen, 2017.
- Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, 5. Auflage, 2017.
- Disalvo, Carl, Adversarial Design, First MIT Press paperback edition, 2015.
- Hartmut Rosa, Beschleunigung und Entfremdung, 6. Auflage, 2018.
- Harrison, Steve & Tatar, Deborah & Sengers, Phoebe, The three paradigms of HCI, 2007.
- Kaiser, Marian, Revolving Stars & Shaky Grounds: Konstellationen unsicheren Wissens in Kunst, Wissenschaft und Technik. In: H-Soz-Kult, 24.06.2014, <www.hsozkult.de/event/id/event-75215>.
- Petruschat, Jörg, Wicked Problems in Das Ungehorsam der Probleme, 1. Auflage, 2017.
Bild: Internet Machine, Timo Arnall, 2015