Sprache und Text

Wahlpflicht SoSe2019
Lina Morawetz

Ist Formung wesentlich Deformation (Adorno)? Das Seminar möchte sich dem vielförmigen Verhältnis von Sprache und Zerstörung einerseits aus literarischer, andererseits aus theoretischer Perspektive nähern. Dabei werden Zensurverfahren und das Löschen genauso wie die Probe und das »Danebensein« als mögliche, unmögliche oder unausweichliche Bezugspunkte für jede Schreibweise betrachtet. Gelesen und durchleuchtet werden ausgewählte erzählende, gedichtete, poetologische, philosophische und szenische Texte aus dem 20. und 21. JH.

Welches Zeug wird erst sprachlich umgebaut begreifbar, wie puscht ein Defekt die Dynamik, wer oder was schweigt? Jede*r Seminarteilnehmer*in sollte im Laufe des Seminars zwei Texte bzw. Werke vorstellen (literarisch + theoretisch), die gemeinsam besprochen werden. Ilse Aichingers Kurztext Schlechte Wörter etwa spricht der restriktiven Vorstellung von »richtigen« Begriffen das Misstrauen aus, stürzt sich lieber auf das »Zweit- und Drittbessere«, für Derrida hingegen gibt es keine Schrift, »die sich keinen Schutz baut, als Schutz gegen sich selbst.« Weiters: »Poetry of Erasure«, also die (grafische) Aneignung von Schwärzung im Gedicht, Vorübung und Nachdichtung, textuales Ausscheren, Stottern, das Recht auf  Schweigen. Und wohin könnte sich das individuelle Problem des Verschwindens vor dem Hintergrund der Panoramen geologischer Zeit verschieben (Daniel Falb)?

Anhand solcher und weiterer Zusammenhänge lassen sich Aufmerksamkeitsformen und Herangehensweisen für das Schreiben eigener und das Verständnis anderer Texte aufspüren. Bis Seminarabschluss soll dann ein kurzer Text produziert werden, und zwar über ein innerhalb oder außerhalb des Seminars angetroffenes Werk oder Phänomen aus dem Spannungsfeld Sprache und Zerstörung. Einzelgespräche zu den Schreib- und Textarbeiten der Studierenden.

Texte/Auszüge aus u.a.: Peter Handke, Die Stunde da wir nichts voneinander wussten;  Elke Erb, Sonanz: 5-Minuten-Notate; Virginia Woolf, Ein eigenes Zimmer; Ilse Aichinger, Schlechte Wörter; Gilles Deleuzes, Was ist der Schöpfungsakt?; Jacques Derrida, Die Différance (»Ich werde also von einem Buchstaben sprechen«); Roland Barthes, Das Neutrum; M. NourbeSe Philip, Zong! (Übertragung ins Deutsche: Uljana Wolf); Marianne Fritz, Naturgemäß III/Dessen Sprache du nicht verstehst; Gilles Deleuze, Stotterte er … (in: Kritik und Klinik); George Orwell, 1984; Herta Müller, Niederungen; Jaques Lacan, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse; das Werk Carlfriedrich Claus‘; Adorno, Zu Subjekt und Objekt; Graham Harman, Vierfaches Objekt; Jacques Derrida, Freud und der Schauplatz der Schrift (in: Die Schrift und die Differenz), Arno Schmidt, Tina oder über die Unsterblichkeit.