Mnemische Wucherungen
Diplom
In meiner künstlerischen Arbeit beschäftige ich mich mit Erinnerungen und ihrer Konstruktion. Sei es im "Kleinen" subjektiven Rahmen oder im "Großen" in Form des kollektiven Gedächtnisses. Im künstlerischen Prozess transformiere ich, in kontemplativen und zeitintensiven Arbeitsschritten, meine autobiografischen Materialien.
1. Die Arbeit "Ruhen lassen" steht für das Häusliche, die Privatsphäre, für die - wie Christian Boltanski sie nennt - "petite mémoire".Diese kleinen, persönlichen Erinnerungen stehen nicht in den Geschichtsbüchern, sie machen uns einmalig, lassen sich in Gänze nicht in Worte fassen und verschwinden mit dem Tod.Im klassischen Sinne werden wir im Bett geboren und sterben auch dort. Wir genesen an diesem Ort von Krankheiten, gehen über in die Welt der Träume oder kämpfen gegen die Schlaflosigkeit. Wir teilen diesen Raum nur mit bestimmten Menschen. Kurzum, auf diesen nicht mal 2 qm spielt sich ein Großteil unserer Emotionen ab. Ich habe mein Bett gehäutet, es hängt nun als Erinnerungsspeicher an der Wand. Auch die beiden Fellkissen wurden ihrer eigentlichen Funktion beraubt. Sie sind nicht mehr weich und gemütlich, so wie auch das Bett nicht mehr zum Ausruhen einlädt. Durch den Akt der Wiederholung wurde aus dem industriell hergestellten Material Stecknadel eine organisch anmutende Fellstruktur. Die Kissen liegen wie leblose Tiere über den Metallsockeln. Es ist ein leerer Raum zwischen ihnen und unter ihnen. Der Titel der Arbeit deutet an, dass hier etwa zu seinem Ende gekommen ist. Wenn es keinen gemeinsamen Nenner mehr gibt, wenn die Konstruktion der jeweiligen Wirklichkeit des Einzelnen nicht mehr in die des anderen greift, ist es an der Zeit die Dinge so zu betrachten wie sie jetzt nun einmal sind und es ruhen zu lassen..
2. Die Installation "Cage" steht für das kollektive Gedächtnis und die Kultur - hier in Form des Gerüstes aus Holz und Metall - die das sich zurück erinnernde Subjekt - die Papierketten - in sich einklammert, gegenwärtige Bezugsrahmen liefert und durch die Konstruktion einer gemeinsamen Vergangenheit, zum Beispiel durch Riten, Feiertage und Museen eine konnektive Struktur schafft, innerhalb der die einzelnen Individuen zu einem Kollektiv miteinander verbunden werden. Die Bücher, die ich hierfür verwendet habe sind zum Einen ein Andenken an meinen Vater, der sie zu Lebzeiten verinnerlicht hatte, auf der Suche nach einer Art Sinnlehre, oder anders gesagt, nach der einen wahren Wirklichkeit. Zum Anderen sind sie wesentlicher Bestandteil unserer Kultur, die mittels des Buchdrucks und ihrer Gechichtsschreibung dem Vergessen entgegenwirkt.Die einzelnen Buchseiten faltete ich zu Origamivögeln und fügte sie spiralförmig in das Gerüst ein, das in seinen Proportionen der Fibonacci-Zahlenfolge entspricht.
3. Das Vergessen, das bildlich gesprochen dem Gedächtnis gegenüber steht: "Amnesia Papaver"Der Mohn als Symbol des Vergessens, dem Schlaf und dem Rausch.Ich habe die Mohnpflanze durch pressen und trocknen konserviert. Auf dem Leuchttisch wird der Mohn vom Licht durchleuchtet und inszeniert. Dann abfotografiert, das Bild digital bearbeitet und anschließend vergrößert ausgedruckt. Somit wird die Abbildung des Realen verzerrt. So wie wir auch im Alltäglichen durch Fotografien und Bildbearbeitung unsere Erinnerungen an das Gewesene verzerren und versuchen dem Vergessen entgegenzuwirken.
Durch die Wiederholung in meinem künstlerischen Prozess mache ich meine immateriellen Erinnerungen greifbar, strukturiere ihre Diffusität - ihre Wucherungen, und präsentiere sie in einem strengen, klar abgesteckten Rahmen. Darüber hinaus bekommen die verschiedenen Materialien etwas textiles. Die gefalteten Buchseiten werden zu einem Gefieder, die Stecknadeln zu Fell und der Mohn zu Schuppen. So wie die verschiedenen Hautoberflächen von Tieren Schutzhüllen sind, ist auch unser Gedächtnis eine Hülle, die unsere geistige Welt zusammen hält.