In der von vielfältigen Krisen geprägten heutigen Zeit ist eine Transformation auch an der Hochschule unerlässlich. Wir sind überzeugt, dass wir nur über das gemeinsame Entwickeln neuer Systeme, Lernformate und Kooperationen die Herausforderung neuer Wege meistern werden. Im Projekt Untitled widmen wir uns dem kollaborativem Arbeiten zwischen Textildesign und Modedesign. Die beiden Disziplinen verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Weltweit bedingen und befruchten sich Textil und Mode, wurden sie meist mit gemeinsamen Erkenntnissen in Material, Technologie und Schnittkonstruktion entwickelt. Mit dem Aufkommen von Saisons und immer schneller wechselnden Moden im 18. Jahrhundert in Frankreich entstand ein Wettrennen von stetig wechselnden Motiven und Stoffentwürfen und einem Auseinanderdriften der beiden Disziplinen im globalen Norden:
“Die erstaunlich modern anmutende, strategische Kopplung von Mode und Markt vollzog sich bereits seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Frankreich. Der neue Markt modischer Produkte basierte auf einer besonderen Koinzidenz, indem er sich auf den Zusammenschluss von Mode, Luxus, Muster und Seide gründete. (...) Es waren mithin die Ornamente, Farben und Qualitäten der verwendeten Stoffe, die von Saison zu Saison wechselten und die Muster des Vorjahres als altmodisch abwerteten.” (Birgit Schneider, Textiles Prozessieren, Zürich-Berlin, 2007, S. 239)
Wo das Textildesign mittlerweile autonomer in den diversen Anwendungen, in Räumen, Produkten oder in der Forschung scheint, wirkt das Modedesign heute immer noch abhängig von Zeit, Saison und Schnelligkeit (mit den bekannten, teilweise desaströsen Auswirkungen). Die Gestaltung der Textilien ist für das Modedesign elementar, für die Recherche von Modedesigner*innen ist der halbjährliche Besuch auf Stoffmessen maßgeblich. Doch die angebotenen und ausgestellten Textilien sind in der Regel ein halbes Jahr vorher, leider meistens nicht in Zusammenarbeit mit den Modedesigner*innen entwickelt worden. Bei der Erstellung der Modekollektionen bleibt für das Forschen und Entwickeln mit Textildesigner*innen in den meisten Fällen keine Zeit, obwohl genau hier ein großes Potenzial liegt.
Deshalb werden wir an den Synergien der beiden Disziplinen arbeiten. Für das gemeinsame Kennenlernen, Erforschen, Eingreifen und Hacking von textilen Systemen gibt es in diesem Semesterprojekt Zeit und den gemeinsamen Studienort Raum 310. Wir möchten Raum geben für uneingeschränkte Kollaborationen, die langfristige Perspektiven haben dürfen - von einem gemeinsamen Projekt, einer längerfristigen Zusammenarbeit, sogar bis zu einer möglichen Änderung des Curriculums der gemeinsamen Studienrichtung.
Das Semester besteht aus zwei Phasen:
In Phase 1 wird gemeinsam ein “Archiv der Möglichkeiten” erarbeitet. In Workshops erlernen Studierende des Textildesigns Techniken der Schnittkonstruktion und Studierende des Modedesigns Grundlagen der Weberei. Danach erforschen alle gemeinsam in vier einwöchigen Workshops diverse Aspekte der textilen Konstruktion und Manipulation geleitet von jeweils einer Projekt-Lehrenden. Techniken sind möglich: z.B. die Schaftweberei, 3D-Strick, überdimensioniertes freies Weben, diagonale Flechterei, Form, Knoten. Ein gemeinsamer Webstuhl, der manipuliert und umgebaut wird, wird im Projektraum installiert. In der ersten Kompaktwoche geben sich die Studierenden untereinander Tutorials zu textilen Methoden, die sie bereits können oder gemeinsam lernen möchten. Alle entstandenen Materialien sammeln wir in einem gemeinsamen Archiv, das für alle zugänglich sein wird. In Phase 2 erfolgt die konzeptionelle Projektgestaltung mit den Erkenntnissen der Experimentierphase.
In Ergänzung werden reflektierende Texte gelesen und besprochen. Es kann sowohl in Gruppen als auch einzeln gearbeitet werden. Die Projekte können im kommenden Semester weitergeführt werden.
Ein wesentlicher Aspekt der Transformation ist das ergebnisoffene Gestalten. Das Projekt istfür uns alle ein Experiment mit offenem Ausgang.