In vielen Fällen wurde die Design- und Architekturgeschichte von den Stimmen geprägt, die mediale Repräsentationsstrategien beherrschten und gewissermaßen laut waren. Doch: Welche Bedeutung hätte es für die eigene gestalterische Entwicklung, einen Kanon nicht nur aus dem Blickwinkel dessen zu zitieren, was erhalten geblieben und erzählt worden ist, sondern auch aus dem Blickwinkel des Verlorenen, im Sinne des Nicht-erzählten, der Auslassungen?
In diesem Seminar, das als Forschungswerkstatt konzipiert ist, steht die Auseinandersetzung mit dem Nicht-erzählten der Architektur- und Designgeschichte aus einem diskursanalytischen und feministischen Blickwinkel im Fokus. Konkret untersuchen wir im Seminar die Sonderausgabe der Architekturfachzeitschrift Bauwelt mit dem Titel „Frauen in der Architektur–:Frauenarchitektur?“ von 1979. Wir betrachten dieses Medium als zeithistorischen Diskursraum: Als wahrscheinlich erste Sonderausgabe eines Fachdiskursmediums zum Thema Frauen in der Architektur in der BRD markierte diese Veröffentlichung ein Moment der Verdichtung frauenbewegter Diskurse zu feministischer Raum- und Getsaltungspraxis der 1970er Jahre. Gleichwohl die 15 fast ausschließlich von Frauen* verfassten Beiträge für heutige Gestaltungsdiskurse an Aktualität und Relevanz nicht eingebüßt haben, wurden diese bisher kaum wissenschaftlich aufgearbeitet und fehlen in der gängigen Rezeption zur Architekturgeschichte dieser Zeit.
Daher widmen wir uns in dieser Woche genau dieser Forschungslücke, Auslassung – Leerstelle – und gehen den diskursiven Kontexten nach, in und aus denen diese Ausgabe entstanden ist (u.a. Protestformen wie Leserbriefe, Public Out-Call). Dies versuchen wir im Sinne der „Archäologie des Diskurses“, einem Forschungsansatz, der sich auf Michel Foucaults diskursanalytische Methode „Archäologie des Wissens“ bezieht und verfolgt, geschichtliche Sedimentschichten zu durchdringen. In der Forschungswerkstatt können, aber müssen nicht die Bauwelt-Autorinnen selbst im Zentrum stehen; durch den methodischen Zugriff können wir auch ganz andere Themen und Fragestellungen in den Mittelpunkt rücken.
Ziel im Laufe der Woche ist es, Fähigkeiten wie kritisches Lesen und Analysieren von Texten und Bildmaterial zu üben und mögliche Berührungsängste vor Forschung und Textarbeit zu nehmen. Wir reflektieren, wie wir als Forschende dem Umstand begegnen können, wenn Leerstellen leer bleiben, oder, wie die Literaturwissenschaftlerin Saidiya Hartman sagt, die Archive schweigen. Deswegen soll in dieser Woche insbesondere Raum sein für künstlerische Auseinandersetzung, research by design und individuell entwickelte methodische Ansätze zum Umgang mit (Archiv-)Material, die von der eigenen gestalterischen Praxis inspiriert werden.
Literatur:
- Bauwelt, Heft 31/32, 70. Jg., Berlin 1979.
- Corona Berkin, Sarah: Die Autonomie des eigenen Blicks, in: Horizontale Wissensproduktion: Der Dialog als Erkenntniswerkzeug sozialwissenschaftlicher Forschung, Bielefeld: Bielefeld University Press, 2024, S. 45–49.
- Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Titel der Originalausgabe: L’Archéologie du savoir, übers.von Ulrich Köppen, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1986.
- Hartman, Saidiya: Venus in Two Acts, in: small axe 26 (2008), S. 1–14.
Weitere Literatur wird digital vor der Kompaktwoche zur Verfügung gestellt.
Lern- und Qualifikationsziele BA und MA: Um die Lern- und Qualifikationsziele zu erreichen, werden von BA Studierenden in Gruppenarbeit zu erarbeitende Präsentationen der Seminarinhalte erwartet. Die Formate differieren und können von Plakatgestaltungen über Vitrinenausstellungen bis zu schriftlich fixierten Konzeptpapieren reichen.
Lern- und Qualifikationsziele MA Design Studies: Um die Lern- und Qualifizierungsziele zu erreichen, werden von MA Studierenden zusätzlich zur Präsentation der Seminarinhalte in individuell wählbaren Formaten jeweils eine schriftliche Hausarbeit im Umfang von 20 Seiten erwartet.