Fotos: Choelhee Park
Eine Reise nach Mardin, eine Stadt mit der ich über meine Familiengeschichte verbunden bin, in der ich jedoch selbst nie gelebt habe, hat mich dazu bewegt, mich eingehend diesem Ort zu widmen. Der Idee folgend, die vor Ort wahrgenommene Atmosphäre in das Medium Textil zu übertragen, habe ich die Stadt aus ästhetischer Perspektive auf ihre Gegebenheiten hin untersucht. So beruhen die textilen Arbeiten auf den Wahrnehmungserfahrungen, die sich mir an diesem Ort vermittelt haben und lassen sich als das beschreiben, was im Dialog zwischen dem Ort und mir entstanden ist.
Die Stadt Mardin, eingebettet in karge raue Landschaften, liegt im Südosten der Türkei zwischen Anatolien und Mesopotamien. Vor der uralten Stadt, deren kubische Sandsteinhäuser sich am Berghang des Gebirges „Tur Abdin“ treppenartig auftürmen, erstreckt sich die mesopotamische Tiefebene. Wie von einer Tribüne aus blickt man von den zahlreichen Flachdächern und Terrassen auf die dunstige Ebene, die ähnlich einer ruhenden Meeresoberfläche vor einem liegt. In weichen Verläufen mündet alles in ein Weiß, sodass kein Horizont erkennbar ist. Es scheint, als schaue man in einen Weißraum, der sich unendlich in die Ferne ausdehnt. Aufgrund der stark scheinenden Sonne entsteht ein beinahe überbelichteter Eindruck. Im Inneren der Stadt findet man sich in einem Labyrinth aus schmalen Gassen, Tunneln und steilen Treppengängen wieder, aus denen heraus sich beim Durchlaufen der Stadt immer wieder Durchblicke auf die helle Weite eröffnen. So ist die Wahrnehmung der Stadt vom Kontrast der gradlinigen engen Architektur und der dunstigen hellen Weite geprägt, die eine intensive Ruhe ausstrahlt.
Der für die Stadt charakteristische Blick über die Ebene in Verbindung mit den architektonischen Gegebenheiten, bildet das Leitmotiv meiner Arbeit. Dabei spielt die Reduktion der formalen Mittel eine wichtige Rolle, um die Wahrnehmung der Betrachtenden zunehmend für Feinheiten und leichte Nuancen zu sensibilisieren. In der Abstraktion und dem bewussten Abwandeln formaler Elemente, die aus der ästhetischen Analyse der Stadt resultieren, habe ich eine Ausdrucksform gesucht, die Referenzen nicht eindeutig erklärt und damit eine Unbestimmtheit wahrt. Wahrnehmungsgewohnheiten werden leicht verschoben und die Kompositionen erschließen sich nicht auf Anhieb. Der spezifische Ort tritt in den Hintergrund und die textilen Arbeiten lassen sich eigenständig und unabhängig vom Ort betrachten. Losgelöst von konkreten Gegenständen oder Symbolen gewinnt die Wirkung von Form, Farbe und Material an Bedeutung und die Kompositionen werden anschlussfähig an ähnliche Wahrnehmungserfahrungen, die auch an anderen Orten entstehen können. Das Ziel der Arbeiten ist auf abstrakte Weise die von mir wahrgenommene Atmosphäre erfahrbar zu machen und ihr im Raum Präsenz zu verleihen.