Neun Studierende besuchten im Dezember 2024 Poznań und beschäftigten sich mit der Rolle von Architektur und Kunst während der Zeit der NS-Besatzung Polens.

Studierende aus dem Lehramt Kunst, den Kunstwissenschaften, den Klassen Malerei/Glas, Textile Künste und Grafik besuchten Anfang Dezember gemeinsam mit Christina Brinkmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt Die BURG in der NS-Zeit, die westpolnische Stadt Poznań. Thematischer Schwerpunkt der Exkursion waren Planungen, Neubauten und die Nutzung bestehender Architekturen während des Zweiten Weltkriegs im durch Deutschland besetzten Polen. 

Den Anlass zu dieser Schwerpunktsetzung gab die Ausstellung „Iluzje wszechwładzy“ (deutsch: „Allmachtsphantasien“), die seit Oktober 2024 und noch bis 9. Februar 2025 im Kulturzentrum Zamek (polnisch „Schloss“) stattfindet. Die von der Kunsthistorikerin Dr. Aleksandra Paradowska kuratierte Ausstellung begreift den Ausstellungsort selbst als Exponat: das Schloss wurde unter dem deutschen Kaiser Wilhelm II. zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut und sollte in neoromanischen, wuchtigen Formen Ausdruck der Germanisierungspolitik im Kontext der preußischen Herrschaft über das geteilte Polen sein. Daran schlossen die Deutschen mehrere Jahrzehnte später an, als Poznań mit dem Überfall der Wehrmacht auf die Republik Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 wiederum in das Gebiet des Deutschen Reiches eingegliedert und Hauptstadt des Reichsgaus Wartheland wurde. Die Politik des Gauleiters Arthur Greiser und anderer Akteure zielte darauf, den Reichsgau Wartheland zu einem „Mustergau“ umzugestalten. In der Umsetzung hieß dies eine antisemitische und rassistische Bevölkerungspolitik, die die systematische Vertreibung von über einer halben Million Pol*innen zur Folge hatte, in deren Kontext auch die Deportationen der jüdischen Bevölkerung und die antisemitische Vernichtungspolitik zu sehen sind sowie Ansiedlungsmaßnahmen für sogenannte „Volksdeutsche“. Diese enormen Planungen im „Osten“ boten auch Architekt*innen einen neuen Handlungsraum im großen Maßstab, wie Niels Gutschow bereits 2001 nachgewiesen hat (Gutschow, Niels: Ordnungswahn. Architekten planen im „eingedeutschten Osten“, Basel 2001). 

Der gemeinsame Aufenthalt in Poznań begann mit mehrfachem Kennenlernen: einer sehr freundlichen und interessanten Führung durch die Kunstuniversität (UAP) und die Innenstadt durch zwei Studierende der Studiengänge Curatorial Studies und Kunstpädagogik und Aleksandra Paradowska, die wir dadurch auch besser kennenlernen durften. Im Anschluss diskutierten wir anhand von zwei wissenschaftlichen Artikeln Fragen zur Rolle von Architektur im Kontext der deutschen Besatzungspolitik in Polen im Zweiten Weltkrieg und lernten uns als Gruppe besser kennen. 

Das große Interesse Aleksandra Paradowska am Austausch mit uns und ihre enormen Kenntnisse der Thematik prägten den Freitag, an dem die Kuratorin uns über vier Stunden durch die Ausstellung führte und das Gespräch mit uns suchte. Gerade kuratorische Fragen standen dabei immer wieder im Mittelpunkt: darf, sollte oder kann man eine Hakenkreuz-Standarte ausstellen und wenn ja, wie? Wie sieht ein adäquater Umgang mit Kunstobjekten und Architekturen aus der NS-Zeit aus? Was bedeutet ihre Präsentation im Ausstellungskontext und inwiefern ist dabei relevant, wo die Ausstellung stattfindet? Welche gestalterischen Möglichkeiten gibt es, die Dimensionen der NS-Verbrechen in einer Ausstellung über Architektur und Kunstgewerbe kenntlich zu machen? Die Ausstellung „Iluzje wszechwładzy/Illusions of omnipotence/Allmachtsphantasien“ zeigt zahlreiche Exponate: Gemälde und Plastiken von in der NS-Zeit erfolgreichen deutschen Künstlern, Fragmente von Arbeiten polnischer Bildhauer, die die Zerstörung polnischer Kultur durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg bezeugen, Zeichnungen, Karten und Architekturmodelle aus dem Kontext nationalsozialistischer Planungen und von Verfolgten und Widerständigen, wie eine Replik des Modells des Ghettos Litzmannstadt, das Leon Jakubowicz dort angefertigt hatte. 

Die künstlerische Intervention „Żółty węgiel“ (deutsch: “gelbe Kohle”) wurde von Iza Tarasewicz eigens für den Kontext der Ausstellung und das ursprünglich für Hitler gebaute Arbeitszimmer entwickelt: raumgreifend erstrecken sich auf dem Boden rechteckige Aluminiumplatten, die Behältnisse für verschiedenförmige Konstruktionen aus Backstein und gelb pigmentierten Ton sind. Ihre Höhenstaffelungen und verschiedenartige Verformungen assoziieren sowohl Architekturmodelle und Rasterplanungen als auch Zerstörung und Verschmutzung. Das Kunstwerk kommentiert den historischen Raum kritisch, ohne die von edler Marmorverkleidung und Lüstern geprägte Atmosphäre brechen zu wollen.

Diese Methode prägt die gesamte Ausstellung, die sich über mehrere Räume des Kulturzentrums erstreckt: Spuren der Geschichte sollen sichtbar gemacht werden und auf verschiedene Weise geschieht deren Kommentierung durch einen ästhetischen Bruch, der das Vergangene aber nicht zu verdecken oder vollends zu entkräften versucht. Am Nachmittag blieb der Exkursionsgruppe Möglichkeit zur individuellen vertiefenden Auseinandersetzung mit der Ausstellung und Erkundung des weitläufigen Schlosses.

Am Samstag standen Orte der NS-Gewalt im Fokus, auch wenn der vorhergehende Besuch des Kulturzentrums diese Kategorisierung bereits in Frage stellt: sowohl die Umbauten des Schlosses als auch der am Samstag besichtigte und heute als Jezioro Rusałka bekannte See und das umliegende Erholungsgebiet sind Resultate von Zwangsarbeit, die jüdische und nichtjüdische Menschen während der deutschen Besatzung erbringen mussten. Am Ufer des bis heute als Naherholungsgebiet genutzten und von den Deutschen ursprünglich als „Elsensee“ geplanten Gewässers verweist eine Infostele auf das Trügerische der landschaftlichen Idylle. Mehrere Hundert jüdische Zwangsarbeiter*innen mussten unter menschenunwürdigen Bedingungen das Becken für den weitläufigen See ausheben, für die Befestigung wurden Grabsteine von jüdischen Friedhöfen genutzt. In den umliegenden Wäldern fanden Erschießungen von Pol*innen statt, die mit dem circa eine halbe Stunde Fußweg entfernt liegenden „Konzentrationslager Posen“ zusammenhängen, das sich im Fort VII der ehemaligen preußischen Befestigungsanlage der Stadt befand. Dies war 1939-1945 einer der Orte der systematischen Erniedrigung und Ermordung der nichtjüdischen polnischen Bevölkerung und der Verfolgung ihrer widerständigen Tätigkeiten. Pol*innen sollten in der rassistischen Utopie der Deutschen der Bildung beraubt und vor Allem in körperlicher Arbeit ausgebeutet werden – ein Aspekt der NS-Gewaltgeschichte, über den in Deutschland bis heute oft wenig bekannt ist. Durch die heutige Gedenkstätte führte uns der Enkel eines dort verfolgten und ermordeten Mannes aus Poznań.

Die Tatsache, dass viele Deutsche kaum etwas über die Gewalt der Deutschen gegenüber der polnischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg wissen, war auch Thema der Diskussionen am Abend. Als Gruppe nahmen wir an einer öffentlichen Podiumsdiskussion im Rahmen der Ausstellung im Zamek teil. Die österreichische Kunsthistorikerin und Kuratorin Ingrid Holzschuh, der Leiter des Architekturmuseums in Wrocław Michal Duda, Rafał Wnuk, Leiter des Museums des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk, Katja Bernhardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nordost-Institut Lüneburg und die Kunsthistorikerin Hanna Grzeszczuk-Brendel diskutierten ausgehend von ihrer eigenen kuratorischen und wissenschaftlichen Tätigkeit die Frage, wie und weshalb Architektur der NS-Zeit in Ausstellungen thematisiert wird. Im Anschluss hatten wir als Gruppe die Möglichkeit, mit Aleksandra Paradowska, Ingrid Holzschuh, Katja Bernhardt und Christhardt Henschel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Warszawa und beteiligt an der Erarbeitung der Ausstellung „Allmachtsphantasien“, weiter zu diskutieren.

Die Auseinandersetzung mit teils unbekannten Aspekten der NS-Verbrechen, den Zusammenhängen zwischen Gewalt, Architektur und Alltag und Methoden des Ausstellens derselben haben wir alle als sehr intensiv erlebt. Mehrfach wurde angesprochen, dass diese Auseinandersetzung mit der Exkursion selbst nicht enden wird und Impulse zur weiteren Beschäftigung gegeben wurden. Auch wenn der Austausch mit den Studierenden der UAP, der Besuch einer studentischen Kunstmesse der Kunstuniversität am Samstag, die sichtbar lebhafte Nutzung des Kulturzentrums im Schloss mit Theater, Kino, Ausstellungen, Café und vielem mehr die Tage prägten, wären mehr Berührungspunkte mit dem heutigen Poznań und seiner lebendigen Kunst- und Kulturszene sicher lohnend gewesen. Sie lädt zu zukünftigen Besuchen der Stadt ein.

Allen Studierenden sei für ihre aufmerksame Beteiligung an einer dadurch sehr gelungenen Exkursion gedankt. Aleksandra Paradowska danken wir von Herzen für ihre Einladung nach Poznań, die wichtige Unterstützung der Exkursion und den interessierten Austausch und hoffen, die Kooperation mit ihr und Studierenden der Kunstuniversität Poznań fortsetzen zu können.

 

Das Projekt „Die BURG in der NS-Zeit“ wird gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt.