Die meisten geraubten Objekte in europäischen Museen enthalten Spuren sowohl von Tätern als auch von Opfern. Als Zeugen unharmonischer Begegnungen eröffnen die Geschichten dieser transkulturellen Objekte, sobald sie enträtselt sind, Bedeutungen, die aus Reibung und Widerstand entstehen. Die Geschichten eines einzigen Objektes können das Wissen um den Rahmen der kolonialen Programme des 19. und 20. Jahrhunderts schärfen und helfen, die heute verkappten Kolonialitäten besser zu verstehen.
Das Seminar konzentriert sich auf die Beziehungen zwischen Lateinamerika und Westafrika anhand von Objekten und Dokumenten in deutschen Archiven und Museen. Ausgewählte Stücke haben das Potenzial, über gängige Praktiken deutscher Ethnographen im 19. und 20. Jahrhundert zu unterrichten, deren Arbeiten die Formulierung ausbeuterischer Politiken an beiden Ufern des Atlantiks beeinflussten. Die Ethnographie und das damit verbundene Sammeln von Objekten waren koloniale Werkzeuge, mit denen man versuchte, sich so viel materielle Kultur wie möglich anzueignen, bevor sie der kolonialen Modernität erliegen konnte.
Wir werden ein oder zwei Objekte pro Sitzung diskutieren und deren Geschichte erzählen oder umschreiben, mit Hilfe u.a. der critical fabulation (Saidiya Hartman). Dadurch lernen wir auch gemeinsam mehr über den deutschen Kolonialismus. Zeitgenössische künstlerische Positionen, die das Thema vom Raubkunst oder Ethnographie kritisch diskutieren, werden wir ebenfalls analysieren (z.B. Lothar Baumgarten; Tuli Mekondjo; Glicéria Tupinambá), um unsere Perspektive auf die Museumsbestände kreativ zu erweitern.
Die Zerstörung ganzer Kulturen kann nicht auf einzelne Objekte reduziert werden. Doch die Rückgabe dieser Objekte ist ein erster Schritt in eine neue Wirtschaft der Beziehungen, die mit Afrika, Südamerika und anderen Regionen eingeleitet werden soll.
Literatur
Azoulay, Ariella Aïsha. UN-DOCUMENTED: Unlearning Imperial Plunder. Video (34 min.). https://vimeo.com/490778435.
Bodenstein, Felicity. Africa: Trade, Traffic and Collections. In: Journal for Art Market Studies 1, 2020. https://fokum-jams.org/index.php/jams/issue/view/12;
Bodenstein, Felicity, Oţoiu, Damiana and Troelenberg, Eva-Maria (ed.). Contested Holdings: Museum Collections in Political, Epistemic and Artistic Processes of Return. Ed. Berghahn Books, 2022;
Haeckel, Jana J. (Ed) Everything Passes Except the Past. Decolonizing Ethnographic Museums, Film Archives, and Public Space. Sternberg Press, London, 2021;
Hartman, Saidiya. Venus in two acts. In: Small Axe 1, June 2008; 1–14;
Savoy, Bénédicte. Afrikas Kampf um seine Kunst, Geschichte einer postkolonialen Niederlage. Berlin: C.H. Beck, 2021;
Sansi, Roger, Arjun Appadurai, Jonas Tinius, and Margareta Oswald (ed). Across Anthropology: Troubling Colonial Legacies, Museums, and the Curatorial. Leuven: Leuven University Press, 2020. https://doi.org/10.1353/book.76593;
Silva, Denise Ferreira da. Unpayable Debt. Sternberg Press, 2022.