Wintersemester 2023/ 2024 • Semesterprojekt • 2. Studienjahr • Betreuung: Prof. Bettina Göttke-Krogmann
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Wintersemester 2023/ 2024 • Semesterprojekt • 2. Studienjahr • Betreuung: Prof. Bettina Göttke-Krogmann
Der Kanon der bildenden Kunst muss sich verändern, denn er ist sehr männlich und westlich geprägt. Alle Geisteswissenschaften spiegeln vornehmlich das Bild der Zeit des 19.Jahrhunderts, in der sie sich etabliert haben. Z.B. bezweifeln heutige Forscher*innen der Urgeschichte die Interpretationen von Männern als Jäger und Frauen als Sammlerinnen2. Die Kunstgeschichte wird ebenso patriachal und eurozentrisch erzählt, auch sie etablierte sich im 19.Jahrhundert in einem ähnlichen Bildungskontext. Sie hat ihre Interpretationen, Einordnungen und Wertungen mit dem Mann als Genius festgelegt. Durch diese Vorherrschaft der Männer kamen die meisten Frauen gar nicht erst zum Zug oder auch erst gar nicht auf die Idee, Künstlerin zu werden, auch wenn sie in wohlhabenden Kreisen durchaus die Möglichkeit gehabt hätten. Aber es gab Künstlerinnen in allen Jahrhunderten und Epochen. Heute gibt es mehr und mehr Bestrebungen, den Kanon der Kunstschaffenden, die als wichtig und prägend gelten, zu verändern.
Aus der Liste der vorgeschlagenen weiblichen Kunstschaffenden soll eine Frau als Ausgangspunkt für die gestalterische Arbeit dienen. Es gilt sich dem künstlerischen Werk anzunähern, aber auch der Lebensgeschichte. Aus der Biographie soll als „Add On“ des Werkes eine erzählerische Komponente herausgefiltert werden, die wiederum durch die zu entwerfenden Stoffe wiedergegeben werden soll. Das Zusätzliche, die hinzugefügte Erzählung, steht in diesem Fall für die zusätzlichen Informationen, die helfen, ein künstlerisches Werk zu verstehen.
Beide Elemente – Werk und Erzählung – sollen in Textilien umgesetzt werden. Die Stoffe sollen aus einem rapportiertem Grundmuster und applizierten Motiven bestehen, angelegt nach dem Prinzip „Figur auf Grund“. Gestalterisch steht das „Add On“ für die Figur als Applikation – diese erzählt die persönliche Geschichte, der Grund hat als Muster ein starkes Motiv aus dem Werk, das als wiederholter, rapportierter Hintergrund angelegt werden soll. Es soll ausschließlich in Blautönen gearbeitet werden und ausschließlich veredelt, d.h. einen fertigen Stoff bearbeiten. Das rapportierte Muster wird im Siebdruck auf den Stoff gebracht - dabei können und sollen unterschiedliche Pasten den Grund nicht nur optisch verändern, sondern auch den Griff und die Struktur. Das kann z.B. Ausbrenner, Acrodur oder Pigment sein, jeweils auch in Kombination mit einer Färbung oder einem Reaktivdruck. Das gewählte Druckmotiv kann auch durch Streifen, Raster etc., die als Werkstattsiebe vorhanden sind, verändert werden.
Wie die Applikation auf den Grund aufgebracht wird, ist sehr frei zu gestalten. Es kann wiederum ein mit einer Schablone aufgebrachter Druck sein, ausgebrannt oder ausgelasert. Vor allem aber soll die Stickerei eingesetzt werden. Von Hand applizieren und sticken, ebenso wie die Entwicklung der Motive mit der Software für die Stickmaschine oder die Arbeit mit der handgeschriebenen Adler-Stickmaschine. Gestalterisch sollen Grund und Figur eine harmonische Einheit bilden. Die Handschrift der Künstlerin muss am Ende nicht mehr erkennbar sein, sie dient nur als Grundlage für das eigene Gestalten.
Entstehen sollen viele verschiedene Experimente, die einen Fundus an Veredlungsbeispielen zeigen, dessen Verfahren als Beschreibung festgehalten werden, damit der Fundus in Zukunft als Archiv dienen kann. Zur Präsentation wird die Künstlerin wieder in den Fokus genommen, um anhand einer Auswahl die ausgewählte Begebenheit, Geschichte etc darzustellen. Der Prozess soll mit einem analogen Skizzenbuch begleitet werden.
1 https://kunstkanon2punkt0.de/2021/02/05/zeitgenoessische-kunst-und-kanon-ein-widerspruch/
2 https://www.sueddeutsche.de/kultur/marylene-patou-mathis-urgeschichte-frauen-1.5441631