Semesterprojekt
Komplexes Gestalten, Wintersemester 2013/14
bei Prof. Dieter Hofmann und M.A. Des. Matthias Zänsler
ab 3. Studienjahr Bachelor, ab 1. Studienjahr Master
Jedes Kind ist wahrscheinlich schon einmal mit dem Begriff des Nürnberger Trichters in Berührung gekommen. Vor allem, wenn es mal wieder besonders schwer fiel, sich beim Lernen diese verflixt komplizierten Dinge einzuprägen. Dann hat sich sicherlich jeder so ein magisches Instrument gewünscht, mit dessen Hilfe sich einerseits Lerninhalte fast ohne Aufwand und Anstrengung aneignen lassen und andererseits ein Lehrer in der Lage ist selbst dem „Dümmsten“ alles einzutrichtern.
Die Realität des Lernens sieht aber leider meist viel beschwerlicher aus und somit stellten sich insgesamt 25 Studierende des Industriedesigns der Aufgabe „Lernwerkzeuge für Erwachsene“ zu entwickeln.
Die Recherchephase wurde von einer Exkursion ganz am Anfang des Projektes eingeleitet. Dabei besuchten die Studierenden verschiedene Institutionen der Erwachsenenbildung, Forschungsinstitute, ein Designbüro sowie Ausstellungen zum Thema Lernen. Der erste Tag der Exkursion begann im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg mit der Ausstellung „Böse Dinge“ und einer Führung durch die eigens eingerichteten „Denkräume“ des Museums die den Einfluss von Design auf die Gesellschaft verdeutlichen sollen. Diese Problematik und weitere Themen der Wissensvermittlung konnten mit Frau Dr. Manuela van Rossen (Kunst- und Designvermittlung) in einem anschließenden Gespräch diskutiert werden. Danach ging es zu dem Designbüro grauwert, ein Unternehmen für „demografiefeste Produkte und Dienstleistungen“ in Hamburg. Es berät seine Kunden, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die besonders im Alter leicht zu nutzen sind und dabei keine defizitorientierten Speziallösungen darstellen, vielmehr sollen attraktive und generationsübergreifende Angebote entwickelt werden (Universal Design). Das letzte Exkursionsziel des ersten Tages war das Bildungszentrum „Tor zur Welt“, welches im Rahmen einer Initiative zur Aufwertung des benachteiligten Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg geschaffen wurde. Ziel des Projektes ist es zum einen, besser Möglichkeiten der Mitgestaltung, Mitwirkung und Kommunikation für die Bevölkerung zu schaffen, zum anderen, um vor allem der Jugend einen besseren Zugang zu Bildung und damit mehr berufliche Perspektiven zu geben. Den Abend ließen alle Beteiligten in einer gemütlichen Runde an einer reservierten Tafel am Fischmarkt in Hamburg ausklingen.
Der zweite Tag der Exkursion führte uns zum IBA Dock am Müggenburger Zollhafen. Die Bezeichnung IBA steht für »Internationale Bauausstellung«. Die Projekte der IBA Hamburg erstrecken sich über die gesamte Fläche der Elbinseln und versuchen die geschichtlich bedingten Missstände (Sturmflutkatastrophe 1962, Dioxinskandal 1980er, hohe Arbeitslosigkeit durch Rationalisierung des Hafenbetriebes) zu beheben. Unsere Führung startete am IBA Dock und führte uns mit der Buslinie 13 Richtung Rotenhäuserfeld. Der langgestreckte Park beherbergt im ehemaligen Gesundheitsamt die „Universität der Nachbarschaften“, die als temporärer Arbeits- und Veranstaltungsort genutzt werden kann. Im Anschluss folgte die Besichtigung des Energiebunkers, der während des 2. Weltkrieges als Flakturm errichtet wurde. Den Abschluss der zweieinhalbstündigen Tour bildete die Ausstellung innovativer Bauprojekte (Smart Price Houses, Smart Material Houses, Hybrid Houses und Water Houses), die mögliche Antworten auf unser zukünftiges Wohnen aufzeigen sollen. Danach besuchten wir den Hamburger Sitz der Euro-FH (Europäische Fernhochschule) und des Instituts für Lernsysteme (ILS). Dabei handelt es sich um einen Verbund von Fernschulen, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Fernhochschulen sind strengen gesetzlichen Auflagen unterworfen und werden regelmäßig überprüft, um die Qualität der erworbenen Abschlüsse zu gewährleisten. An der ILS empfing uns Ingo Karsten, der Geschäftsführer, um uns einen Einblick in das System Fernschule zu geben.
Die Euro-FH stellte unser letztes Exkursionsziel im Hamburg dar. Am darauffolgenden Tag und somit unserem letzten Exkursionstag reisten wir weiter in Richtung Wolfsburg. Ziele für diesen Tag waren das Kunstmuseum Wolfsburg, das Kulturhaus Wolfsburg sowie das Phäno. Im Kunstmuseum Wolfsburg führte uns Ute Lefarth-Polland, die dort für Kunstvermittlung und visuelle Bildung zuständig ist, durch die Zaha-Hadid-Lounge und die Ausstellung „Slapstick!“. Sie gab uns einen umfassenden Einblick in die Museumspädagogik, wie sie in Wolfsburg verstanden und praktiziert wird. Wie kann man über Kunst lehren und lernen? Werden dafür bereits spezielle Lernwerkzeuge verwendet? Und wie geht man auf die besonderen Anforderungen erwachsener Lernender ein? Der finnische Architekt und Designer Alvar Aalto ist der Gestalter des 1962 eröffneten Kulturhaus der Stadt Wolfsburg, welches wir im Anschluss an das Kunstmuseum besuchten. Aalto sah die ursprüngliche Nutzung der gleichnamigen Begegnungsstätte für eine Stadtbibliothek mit Kinderbibliothek, ein Jugendzentrum und der Volkshochschule vor. Das polygonale Gebilde reagiert mit der wabenförmigen Gestalt auf die hiesige urbane Landschaft. Aalto konzipierte außerdem für das gesamte Kulturzentrum das Einrichtungs- sowie Beleuchtungskonzept. Der letzte Besuch unserer Exkursion war dem Phäno in Wolfsburg gewidmet. Das auf zehn Betonsäulen errichtete, optisch schwebende Gebäude wurde von der aus Bagdad stammende und heute in London lebenden Architektin Zaha Hadid entworfen. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene spielen und erfahren gerne Neues. Im Pheano werden auf spielerische Art und Weise wissenschaftliche Abläufe durch einfache Erklärungen und Selbstversuche vermittelt. Die Besucher werden an über 350 Stationen aufgefordert die Spiele zu enträtseln, zu erfahren und sich auf faszinierende Kunstwerke einzulassen, um den dahintersteckenden Phänomenen auf die Schliche zu kommen.
Wieder zurück an der Hochschule, wurden die darauffolgenden zwei Wochen dafür genutzt, intensiv die Exkursion auszuwerten, gezielte Fragestellungen abzuleiten und sinnvolle Kreativübungen im Abgleich mit den gemachten Erfahrungen anzuwenden. Des Weiteren flossen weitere Aufgaben ein. Die Studierenden sollten ihr persönliches Lernwerkzeug im Arbeitsraum platzieren und für die anderen präsent machen und die Postkarten auswerten, welche an deren Familien mit der Fragestellung „Was willst Du im Leben noch lernen“, gesendet wurden. Zum weiteren Einstieg in das Projekt hielt jeder Studierende außerdem einen Kurz-
Vortrag zu einem Schwerpunkt des Themas „Lernen für Erwachsene“ im Pecha Kucha Format. Zudem wurden auch der kommende Workshop vorbereitet. Speziell die Masterstudierenden sollten diese Workshopwoche planen, durchführen und moderieren.
Der erste Workshop innerhalb des Semesterprojekts hielt eine Vielzahl an Referenten aus den unterschiedlichsten Bereichen bereit. Den Start machte der Spieledesigner Willy Dumaz. Er gab Einblicke in seine Arbeit als selbstständiger Designer und erläuterte seine Arbeitsweise anhand konkreter Projekte. Ihm folgte der Pfarrer Johann-Hinrich Witzel im Vortrag über die Vermittlung von Glauben und dem selbstbestimmten Lernen. Marie Anne Fliegel erzählte sehr persönlich aus ihren Erfahrungen als Schauspielerin, dem Lernen von Texten und Rollen, aber auch vor der Angst zu versagen und den gestellten Erwartungen nicht gerecht zu werden. Den Abschluss des ersten Workshop-Tages bildete die Exkursion zum Leipziger Zoo. Vor Ort konnte gezielt für den bevorstehenden Stegreifentwurf »Affen-Enrichment« recherchiert werden.
Als Anknüpfungspunkt der Exkursion begann der zweite Tag mit dem Vortrag über „Primatenforschung“ durch die Referentin Anke F. Schirmer. Sie wies auf Möglichkeiten aber auch Einschränkungen bei der Gestaltung des Primaten-Enrichment hin. Im Anschluss referierte der Künstler Emanuel Mathias über den „Abstand des Forschers zum Forschungsobjekt“. Zum Schluss erläuterte Stefanie Lauter die Grundlagen der Lernergonomie. Das Ende des zweiten Tages stellte der Film „Das automatische Gehirn“ dar.
Der Mittwochmorgen startete mit einer Exkursion ins chirurgischen Lernzentrum Halle, wo Medizinstudenten die praktischen Tätigkeiten eines Arztes simulieren können. Nach einer Einführung in die Aufgabenbereiche des Lernzentrums durch den Oberarzt Dr. Med. Dietrich Stoevesandt, konnten die Studierenden selbst einige Stationen testen. Am Ende des Tages lernten die Projektteilnehmer, unter der Leitung von Stefanie Lauter praktische Übungen zur Hand-Augen-Koordination. Den Abschluss der ersten Workshop-Woche bildete ein Stegreifentwurf in Zweierteams, dass dem Enrichment von Primaten dient.
Der zweite Workshop innerhalb des Semesterprojekts stand unter dem Motto »Lernspielzeuge für Erwachsene«. Der in Halle ansässige Spiel- und Lerndesigner Willy Dumaz, welcher uns bereits in der ersten Workshopwoche Einblicke in seine Arbeit gewährte, leitete den Workshop. Als Einstieg machte er uns auf ein wichtiges Element bei der Gestaltung von Spielen aufmerksam: das „Flow-Prinzip“. Der und Autor ehemalige Professor Mihály Csíkszentmihályi prägte den Begriff des „Flow“ im Kontext einer psychologischen Theorie und bezeichnete dabei „ein Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit.“
Dumaz Spielkreation, das „Stärken-Quiz“, getestet. Im Anschluss konzipierte jede Studentengruppe eine Mind-Map zum Schwerpunkt „Lernspielzeuge für Erwachsene“.
Im weiteren Verlauf des Workshops wurden Motive und Themenbereiche generiert, die sich im Rahmen einer spielerischen Aneignung von Wissen befanden. Diese konkreti-
sierten sich im Laufe der Woche und entwickelten sich zu Spielideen und Aktionen. Eine Woche nach Start des Workshops fand die Abschlusspräsentation statt. Entstanden sind insgesamt elf verschiedene Spielideen beziehungsweise Aktionen, die sich auf vielfältige Weise mit einer spielerischen Komponente des Lernens von Erwachsenen auseinandersetzten.
Nach dieser intensiven Zeit von vier bis fünf Wochen wurden die Studierenden in ihre individuelle Ausarbeitungsphase entlassen und dabei stets in Konsultationen und Zwischenpräsentationen von den Lehrenden motiviert und beraten. Am Ende des Semesters standen insgesamt 16 modellhaft umgesetzte Prototypen, die sich auf verschiedenste Art und Weise dem Thema eindrucksvoll näherten.
Ziel des Projektes war es vor allem im Experiment zu untersuchen, welche besonderen Lerninhalte benötigen Erwachsene heute, welche Lehr- und Lernmethoden sind angemessen, welche Kompetenzen sollen vermittelt werden und wie organisiert sich der Lernprozess. Aus dieser Analyse heraus beantwortetem wir die Frage wie zeitgemäße Lernwerkzeuge und Instrumente für diese Altersgruppe aussehen. Dabei konnte die Kombination von neuen Technologien mit tradierten Lernformen genauso wirksam sein, wie individuelle Strategien, lernfreundliche Kontexte oder materielle Objekte in Verbindung mit geeigneten Prozessen.
Teilnehmer:
Benny Adler (MA), Maria Bauhofer (MA), Franziska Broz (MA), Laura Christopheri (BA-Abschluss), Florian Cortes König (BA-Abschluss), Robert Damisch (BA), Hannes Fromm (BA), Lisa Grünberg (BA), Laura Heym (BA), Leonie Holtmann (BA), Leonie Krieger (BA), Florian Möller (BA), Mandy Mucha (BA), Hendrik Nater (BA-Abschluss), Davina Plätzer (BA), Andreas Patsiaouras (MA), Andreas Pilarski (MA), Martina Schäfle (BA), Qiu Senhui (BA-Abschluss), Sophie Schlossarek (BA), Nikolai Schilasky (BA), Elias-Kilian Schmidt (BA-Abschluss), Marlene Swiecznik (MA), Nadine Williams (BA), Marta Quilis Juan (BA)
Wir bedanken uns an dieser Stelle bei den Studierenden für die intensive Zeit sowie für die Dokumentationsaufbereitung und für die Texte und Bilder (Quellen siehe PDF Dokumentation).