Wintersemester 2023 / 2024 • Semesterprojekt • ab 3. Studienjahr
Betreuung: Prof. Bettina Göttke-Krogmann
Wenige wissen, dass gar nicht weit von Halle in Wolfen 1934 mit auf PVC basierender PeCe-Faser die erste synthetische Chemiefaser überhaupt erfunden und produziert wurde. Schon in den 20er Jahren wurde mit Viskose experimentiert und in den 30ern wurde zeitgleich mit den Amerikanern an Polyamid geforscht, in den 40ern an Polyacryl. Bekannt ist das Werk in Wolfen durch die Filmproduktion, aber die Faserproduktion war ebenso groß und leider um einiges dreckiger. Denn alle wissen, wie verseucht die Gegend um Bitterfeld-Wolfen durch die Chemieproduktion vor und während der DDR-Zeit war. Schon in den 80ern während der DDR-Zeit gab es Proteste unter schwierigen Bedingungen1, denn die Industrieanlagen waren komplett veraltet, Umweltauflagen gab es nicht und die Gesundheitsgefährdung durch die Chemieindustrie wurde unter Verschluss gehalten2. Wenige wissen, dass die Chemiefaserproduktion bei 70% der gesamten Textilproduktion liegt. Wir träumen von einer Welt der Naturfasern - die Realität sieht bei 7 Milliarden Menschen
anders aus, für eine „Selbstversorgung“ mit Naturfasern reicht allein der Platz nicht aus. Es gilt weniger zu verbrauchen, nachwachsende Rohstoffe zu nutzen und die Textilien, die schon da sind, nicht zu verbrennen, sondern sinnvoll weiter zu verwerten. Ziel des Projektes ist die Auseinandersetzung mit den Potentialen der Chemiefaser heute: über Recycling, über biobasierte Materialien, über neue Nutzungen – vielleicht sogar wieder in Wolfen.
Basis ist das gemeinsam zusammengetragene Wissen über die Geschichte der Chemiefaser mit seinen giftigen Konsequenzen aus dem Firmenarchiv der Film und Faserproduktion Wolfen, aus den Erzählungen von Zeitzeug*innen und aus der persönlichen Recherche. Die Form des textilen Projektes ist frei wählbar – es kann ein Objekt sein, eine Serie, ein Materialexperiment; in einer oder mehreren frei wählbaren Technologien wie Strickerei, Weberei, Jacquardweberei, Siebdruck,
Spinnen/Zwirnen/Kordeln, 3D-Druck etc. Es kann sich nur auf das Material Chemiefaser beziehen wie nur auf die regionale Geschichte oder auf beides. Gleichzeitig soll über das textile Projekt das Wissen durch eine - wiederum frei wählbare - Form der Performance auf dem Festival Osten5, das vom 1.-16.6.24 in Wolfen stattfinden wird, kommuniziert werden. Der Begriff der Performance ist
dabei weit gefasst: als Inszenierung, als Bewegung mit Stoff, als aktive Installation, als Show, als Workshop, interaktiv, spielerisch, partizipativ, etc. Die Präsentation soll gemeinsam in der Gruppe für den Veranstaltungsort entwickelt werden, die Formen können trotzdem unterschiedlich sein.
Im Film- und Fasermuseum Wolfen starten wir mit einem KickOff: einer Führung, ersten Gesprächen, einer Einführung ins Archiv, die Vorstellung des Festivals, Brainstorming mit einer der Kurator* innen des Festivals zu möglichen Formen der Performance. In Wolfen beheimatet ist die Firma SOEX7, eine Sortier- und Recyclingfirma für Textilien, die ebenfalls besucht wird. Für die folgenden Konsultationstermine werden kleine Vorträge vorbereitet: zum einen zur Geschichte der der Filmund Faserfabrik, zu Dederon8, zu den Umweltschäden, etc, zum anderen zum aktuellen Stand des Recycling der Chemiefasern und zu biobasierten Fasern. Im Laufe des Herbstes wird ein unterstützender Workshop für die Performance organisiert. Am 15.11. findet im Film- und Fasermuseum eine „Bilderschau“ statt, zu der ehemalige Mitarbeiter*innen der Faserproduktion eingeladen sind und die Möglichkeit des Austausches besteht. Für spezielle Fragen können auch schon vorher direkte Kontakte zu Ehemaligen hergestellt werden. Die letzte Kompaktwoche dient
der Realisierung der textilen Projekte und der Entwicklung der eigentlichen Performance. Zur Präsentation sollen das textile Projekt und die Konzeption der Performance fertig sein. In den Wochen vor dem Festival wird es eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Aktionen geben, die während des Festivals durchgeführt werden.