PROJEKTSEMINAR (Kunstgeschichte) | Prof. Dr. Nike Bätzner | 1. Besprechung: digital, Mo 12.10.2020, 16:15–17:45 Uhr | Im Kontext des Festivals „Neue Bitterfelder Wege. Ein Festival im Osten“, Bitterfeld-Wolfen, mit verschiedenen Kooperationspartnern | analog und digital | beschränkte Zahl an Teilnehmer*innen | Anmeldung bis 2. Okt. unter: baetzner(at)burg-halle.de
Die Region von Bitterfeld war einst ein „sumpfiges“ (mittelhochdeutsch: „bitteres“) Land. Die erste urkundliche Erwähnung geht auf das Jahr 1224 zurück. Doch wir verbinden mit Bitterfeld kaum ein mittelalterliches Städtchen, sondern denken eher an die Prägung der Kulturlandschaft durch die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung, den Braunkohletagebau, den Chemiepark des 20. Jahrhunderts mit den damit verbundenen Umweltschäden, an Stilllegungen und Umorientierungen nach 1989. Im April 1959 fand im Kulturpalast des VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld die als „Bitterfelder Weg“ bezeichnete Autorenkonferenz statt, die unter dem einprägsamen Slogan „Greif zur Feder Kumpel, die sozialistische Nationalkultur braucht dich!“ den Werktätigen einen aktiven Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen sollte. Bildende Künstler und Schriftsteller wurden in die Betriebe geschickt, um die „Laienkunst“ zu unterstützen. Thematisiert wurde so die – auch im „Westen“ diskutierte – Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben. Die Kunstarbeiter sollten sich mit den Industriearbeitern solidarisieren. Wie ist das in das grundsätzliche Verhältnis von Arbeit und Leben eingebettet? Wie generiert sich durch Arbeit ein sozialer Raum? Wie schreibt sie sich in die Landschaft ein? Wie wird diese Einschreibung uminterpretiert, z.B. durch Rekultivierungsmaßnahmen, die in den letzten Jahren Bitterfeld-Wolfen zu einem Naherholungsgebiet gemacht haben: mit Seen in den ehemaligen Gruben und Wiederaufforstungen? Doch auch heute ist Bitterfeld-Wolfen noch ein bedeutender Standort der Chemischen Industrie, der tradierte Orte neu definiert.
Bitterfeld ist ein exemplarischer Ort, um Fragen zum „Osten“ und unserer heutigen Gesellschaft zwischen wirtschaftlichen und lebensweltlichen Ansprüchen zu verhandeln, um Hoffnungen, Perspektiven und Notwendigkeiten zu beschreiben und die Möglichkeiten von künstlerischen Interventionen in einem solchen Kontext zu erproben.
Ansatzpunkte für eine forschende Beschäftigung mit und in Bitterfeld könnten sein:
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die Geschichte des Kulturpalasts, der 1952 von den Arbeiter*innen der Stadt errichtet wurde
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die Entwicklung des Industriegebiets seit dem 19. Jahrhundert
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die Historie von IG Farben oder von Agfa/Filmfabrik - Wolfen/ORWO
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das Bitterfeldsyndrom – ein anthropogenes Syndrom der Altlasten
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die Rolle der Vertrags- und Fremdarbeiter*innen
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eine Recherche in Archiven wie dem Industrie- und Filmmuseum Wolfen
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die Konturierung der Bergbaufolgelandschaft
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Ruderalpflanzenkolonien, die sich im Industriegebiet finden lassen
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dem nachzugehen, ob die Expo 2000 irgendwelche nachhaltigen Spuren hinterlassen hat
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die Rolle der bildenden Kunst vor Ort (die sich u.a. in Wandgestaltungen oder einer monumentalen Skulptur von Claus Bury zeigt)
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das Verhältnis von Lokalem und Globalem
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Durch Begehungen vor Ort werden wir herausfinden, was unser Hauptfokus sein kann bzw. welchen (unterschiedlichen) Strängen wir nachgehen wollen.
Das Projektseminar steht im Kontext eines größeren Festivals, das 2021-22 stattfinden wird,
initiiert vom Verein Kulturpark e.V., maßgeblich entwickelt von Christine Leyerle, Ludwig Haugk, Aljoscha Begrich (die am Maxim Gorki Theater in Berlin tätig sind), von Sebastian Baumgarten (Regisseur, München) und Matthias Goßler (Splitter Manufaktur Bitterfeld); gefördert wird das Festival u.a. von der Kulturstiftung des Bundes.
Die BURG ist einer der zahlreichen Kooperationspartner des Festivals.
Einführende Literatur
Bittner, Regina: Kolonien des Eigensinns. Ethnographie einer ostdeutschen Industrieregion. Mit Fotografien von Andreas Weinand. Edition Bauhaus, Frankfurt, New York: Campus Verlag 1998.
Klose, Franziska: Bitterfeld. Künstlerbuch zum Projekt „Die neue Wildnis“. Leipzig: Edition Kunstraum Michael Barthel, 2015.
Maron, Monika: Flugasche. Roman. Frankfurt/M: Fischer Taschenbuch Verlag 1981.
Stief, Martin: "Stellt die Bürger ruhig": Staatssicherheit und Umweltzerstörung im Chemierevier Halle-Bitterfeld. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2019.
Vier Buchstaben – eine Weltmarke: Agfa ORWO. Hg.: Industrie und Filmmuseum Wolfen, Bitterfeld 2007.
Vom Bauhaus nach Bitterfeld. Reise zu den Ursprüngen des modernen Lebens. Hg.: Stiftung Bauhaus, Verein industrielles Gartenreich e.V., Berlin: Stattbuch-Verlag 1998.
Weitere Literatur steht im analogen Semesterapparat der Bibliothek.
Eine BurgBox steht zum Austausch von Materialien zur Verfügung.
Weiterführender Link zu den Kulturhäusern:
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Name des/der Lehrenden / Name of Teacher
Prof. Dr. Nike Bätzner
Veranstaltungsart und -methodik / Teaching and working methods
Seminar und Übung, ggf. projektbegleitend
Verwendbarkeit / Applicability
Kunstgeschichte / MA Kunstwissenschaften: Modul 3 (Reflexive Praktiken), 5 (projektbegleitend) oder 7 (Vertiefende Formate)
Lernziele, Qualifikationsziele / Objectives, Learning Outcome
- Entwicklung von Forschungsfragen
- Einsatz von Methoden empirischer und wissenschaftlicher Forschung
- kontextbezogene Anwendung von Wissen
- Kenntnisse im Bereich Projektentwicklung und Projektmanagement
- Dokumentation von Praxisvorhaben
Beurteilung / Assessment
Teilmodulleistung: Teilnahme (T); parallel Projektentwicklung und -präsentation
Zugangsvoraussetzung / Prerequisites
für Studierende der Kunst: keine / für Master: Abschluss von Modul 1 und 2
Umfang in SWS / Semester periods per week
2
Häufigkeit, Dauer und Termin, Ort des Angebots / Appointed time and location
Montag, 16:15-17.45 Uhr und weitere Termine
Beginn: 12. Oktober 2020
Ort: digitale Treffen / Seminarraum Schleifweg 6 / Raum Bitterfeld