Schwerpunktprojekt Schrift und Typografie
SoSe 2021
Prof. Andrea Tinnes
Pierre Pané-Farré
1991 erschien die Anthologie »Typography Now«, eine Bestandsaufnahme des signifikanten Wandels typografischer Kultur und Kommunikation im Rahmen der tiefgreifenden Digitalisierungsprozesse und Medienentwicklungen in den 80er und frühen 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Genau 30 Jahre später befinden wir uns erneut in einem umfassenden Paradigmenwechsel, der aktuell in allen Gestaltungsdisziplinen, auch in den Bereichen Schrift und Typografie, in Bezug auf Praxis, Diskurs, Forschung und Lehre stattfindet.
In unserem Seminar wollen wir genau diesen Transformationsprozess beleuchten, dokumentieren und kritisch hinterfragen. Unser Ziel ist zunächst eine Bestandsaufnahme und Positionsbestimmung aktueller Tendenzen und Diskurse und deren kritische Reflexion sowie die Entwicklung von Zukunftsszenarien und die Untersuchung möglicher Auswirkungen auf eine Re-Konfiguration von Lehre und Vermittlung. Wir schauen also auf das Hier und Jetzt und spekulieren, wie es in Zukunft sein könnte. Dabei stellt sich für uns die grundsätzliche Frage, wie sich vor dem Hintergrund technologischer Innovationen und aktueller gesellschaftspolitischer Diskurse die typografische und schriftbasierte Kultur entwickeln und ändern wird und welche Konsequenzen diese Veränderungsprozesse auf die sprachliche Kommunikation und die Zukunft des Lesens insgesamt haben könnten.
Unter dem Stichwort »Typographic Bureau of Investigation« wollen wir das Seminar – wie bereits im vorangegangenen Semester – in ein typografisches Forschungs- und Diskurs-Labor verwandeln und Praktiken des Recherchierens, Sammelns, Archivierens, Selektierens und Kompilierens in den Fokus setzen. Dabei begleiten uns zahlreiche praktische Workshops zu digitalen Tools, Medienformaten und Gestaltungsmethoden. Zudem führen wir das Format der Remote Online Conversations mit unterschiedlichen Gästen weiter.
Erste wichtige Termine:
Kurzes digitales Treffen der Gruppe am 17. Februar 2021, 14:30 Uhr.
Wir starten in der Einführungswoche am Montag, dem 29. März 2021, mit einem 4-tägigen Intro Workshop.
Kontextuelle Fragestellungen:
Welche Potenziale haben neue Technologien und e-Formate auf die digitale sprachliche Kommunikation?
Wo führen sie zu neuen Anwendungsmöglichkeiten und wo zu neuen Anwendungsfeldern?
Welche Potenziale liegen in einer responsiven, kinetischen oder partizipativen Typografie?
Wie können wir in diesen Kontexten inklusiv und barrierefrei Schrift gestalten und anwenden, auch im Kontext einer multilingualen Typografie?
Wie verändern sich unsere Lesegewohnheiten in Anbetracht einer zunehmenden audiovisuellen Kommunikation?
Und was bedeuten veränderte Lesegewohnheiten für die typografische Gestaltung von Lese-Umgebungen und Lese-Erfahrungen, im Digitalen wie im Analogen?
Wie fördern wir nachhaltiges Arbeiten und den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen jenseits von Wachstumsideologien?
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Praktiken des Publizierens, des Vervielfältigens, des Verteilens und schlussendlich auch des Produzierens?
Wie verändern sich Autor*innenschaft, Originalität und Authentizität vor dem Hintergrund von Remix- und Mashup Strategien, Creative Commons, Open Licences, Open Source und Free Software? Und welchen Einfluss haben individuell anpassbare Templates und frei verfügbare fertige Layouts auf das Selbstverständnis von Typograf*innen?
Wie können wir digitale Werkzeuge, Programmoberflächen und digitale Arbeitsumgebungen umcodieren, aneignen oder selbst entwerfen, um dadurch eine größere Gestaltungsautonomie zu gewinnen? Und wie können unter dem Einfluss einer Vielfalt von eklektischen Multistilismen dennoch subjektive und eigensinnige Gestaltungsansätze entwickelt werden?
Stichwort Unlearning, wie können wir im Kontext einer männlich geprägten Geschichtsschreibung und einem eurozentristischen Kanon des Designs durch kritische Befragungen alternative Perspektiven und Erzählungen entwickeln?
Und wie können wir dabei postkolonial geprägte Ansätze stärken?
Stichwort Arbeit, welche Formen emanzipatorischer und subversiver Typografie-Praktiken sind möglich vor dem Hintergrund weitreichender Veränderungen existierender Arbeitsverhältnisse? Wie können dabei unabhängige Strukturen und kollektive Arbeitsformen gefördert und gestärkt werden? Und wie entwickeln sich überhaupt die Arbeitsfelder in den Bereichen Typografie und Schriftgestaltung?