Stilles Örtchen - 
Design zur Kultur des sich Erleichterns

In diesem Semester wollen wir uns mit einem außerordentlich relevanten Thema beschäftigen. Einem Thema, das uns alle, von der Wiege bis zur Bahre täglich mehrmals betrifft und begleitet, egal in welchen Kulturen wir leben, ob wir reich oder arm sind oder welches Geschlecht wir haben. Bild mit Fragezeichen?

Es geht um die Kultur des sich Erleichterns, um unsere Hinterlassenschaften, um eine essentielle Funktion unseres Körpers, um den Zusammenhang aus Einverleiben und Ausscheiden. Es geht um unser körperliches aber auch seelisches Wohlbefinden in Bezug auf Hygiene, Verdauung und Privatheit. Es geht um das stille Örtchen.

Es geht dabei auch um Dinge, die wir am liebsten vor unseren Artgenossen verbergen und womit wir uns ganz wesentlich von anderen Lebewesen unterscheiden. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum es von der Produktgestaltung ein wenig stiefmütterlich betrachtet wird. 

Es gibt wunderbar gestaltete Luxustoiletten mit besonderer Erlebnisqualitäten und mit unseren Toilettenqualitäten zuhause sind wir in den reicheren Gesellschaften meistens auch ganz zufrieden, weil wir sie selbst mitgestalten können. Aber vor allem im öffentlichen, temporären und mobilen Kontext, an Einsatzorten wie Baustellen, Raststätten, bei Events oder auch in Krisensituationen ist die Qualität dieser Orte oft notdürftig und auf viel weniger, als das Notwendige beschränkt.

Es geht aber auch darum, wie der gesamte Prozess des sogenannten Stuhlgangs auf uns und unsere Umwelt einwirkt. Wir wissen aus der Forschung von Sozialstudien zum Medikamentengebrauch und Drogenmissbrauch und zur Bestimmung der Viruslast während der Coronapandemie anhand von Messungen in den Abwässern. Die Medizin liest unsere Vitalwerte und Krankheiten aus unseren Ausscheidungen heraus, wie die Zungen der antiken Ärzte den Diabetes aus dem Urin des Patienten. Die Klärwerke kämpfen mit allen Arten unserer auch nichtmenschlichen Hinterlassenschaften in den Kanalisationen um sicheres Ab- und damit auch Trinkwasser.

Es geht bei diesem Thema auch um Kreisläufe, um einen nachhaltigen Umgang mit unseren Fäkalien, von dem wir uns weit entfernt haben. Während wir die Hinterlassenschaften von Tieren direkt als Dünger auf Felder kippen dürfen, müssen menschliche Hinterlassenschaften über Kläranlagen oder manchmal sogar als Sondermüll entsorgt werden.

Es geht um Genderfragen und um anatomische und biologische Unterschiede des menschlichen Körpers, um Ergonomie, um die multisensuellen Aspekte dieser Orte, um den Umgang mit Geräuschen, Gerüchen, mit Haptik und visueller Anmutung intimster Bereiche. Aber auch um wirtschaftliche und soziale Aspekte, wie dem barrierefreien, kostenfreien Zugang zu sauberen Toiletten, (Sanifairbon)

Es geht auch um einen Ort, der für Dinge genutzt wird, für die er ursprünglich gar nicht gemacht wurde. Er wird umfunktioniert zu einem Schminkraum, einer Umkleidekabine, einem Rückzugsort, in dem auch andere Dinge gemacht werden können, die wir dem Blick der Öffentlichkeit vorenthalten wollen. Toiletten sind unzensierte Kommunikationslabore, mit zweifellos sehr differenziertem literarischem Anspruch. (Bild schöner Klospruch)

Mit all diesen Fragen werden wir uns in diesem Projekt beschäftigen und gestalterisch daran arbeiten. 

Für einen Kontext, der von manchen als schmuddelig, abstoßend und unästhetisch angesehen wird, wollen wir gemeinsam neuartige Orte und Objekte entwerfen, die durch einen hohen Gebrauchswert für den Nutzer überzeugen. Wir werden uns dabei anschauen und erforschen, wie wir diesen komplexen sinnlichen und kulturellen Anforderungen gerecht werden können und versuchen mit unseren eigenen Entwürfen sowie den bestehenden Vorurteilen als auch den Realitäten entgegen zu wirken. 

Wir werden uns fragen, ob neuartige Materialien, Oberflächen und Strukturen zu besseren Lösungen führen können. Dabei werden wir gemeinsam in einem Auftakt-Workshop mit dort tätigen Forschern eintauchen.

Neben den technischen und funktionalen Aspekten schauen wir uns auch die historischen, philosophischen, psychischen und physischen, sowie interkulturellen Aspekte des Phänomens des sich Erleichterns an. Wir werfen dabei einen Blick in die Vergangenheit, begeben uns in andere Kulturen, um den spezifischen Umgang dort zu verstehen und bestenfalls davon zu lernen. Wir befragen Hygieniker, Psychologen und Anthropologen. 

Kooperationspartner

Das Projekt findet in Kooperation mit einem sehr spannenden und kompetenten Kooperationspartner statt. Das thüringische Unternehmen Toi Toi Dixi ist Weltmarktführer auf dem Gebiet der mobilen Toiletten. Es unterstützt uns mit Expertise und Wohlwollen während des gesamten Projektzeitraums nicht nur ideell.

Projektziel

Ziel des Projektes ist der Entwurf von Designobjekten, welche die Qualitäten der Orte des sich Erleichterns vor allem im mobilen und temporären Kontext bereichern und verbessern. Dabei dient uns als Hintergrund auch die Produktpalette und das Know-How von Toi Toi & Dixi, um zu freien, konzeptionellen Positionen bis hin zu sehr angewandten Entwürfen zu kommen. Dabei stellt die gestalterische Auseinandersetzung dieses Kontexts mit den Bedürfnissen unseres Menschseins als körperliches und geistiges Wesen einen Schwerpunkt dar. Das Zeitfenster für die Entwürfe kann zwischen 3 und 15 Jahren liegen.

Projektablauf

Zum Projektstart planen wir mehrere Exkursionen. Zum einen werden wir den Kooperationspartner Toi Toi & Dixi in Gerstungen besuchen, bekommen dort exklusive Einblicke ins Unternehmen, Betriebs- und Produktionsabläufe, in technische Innovationen und in die Unternehmensphilosphie und -strategie. Wir werden Workshops mit Menschen vor Ort durchführen und profitieren von frühem wechselseitigem Wissensaustausch. Am Ende des Projektes präsentieren wir dort unsere Ergebnisse.


Zur Vorbereitung und Recherche sind weitere Vorträge, Workshops (Ein Seminar / Vortrag mit Hajo Eickhoff, dem „Papst des Sitzens“ ist geplant) und Exkursionsziele in Erarbeitung. Wir werden dazu themenrelevante Designstudios, Ausstellungen, Messen, Forschungsinstitute und kulturelle Einrichtungen besuchen, in denen Kernbereiche des Themas verhandelt werden. Wir werden zB. die Ausstellung „Unter Druck - Entwicklung der Zugtoilette“ im DB Museum Nürnberg und das Hygienemuseum Dresden besuchen. 

Wir werden in einer Art Reality Check uns selbst diesen Objekten an verschiedenen Orten, wie Raststätten, Festivals oder Baustellen auszusetzen und auch die Schnittstellen der Entsorgung und Aufbereitung unserer Hinterlassenschaften, wie Wasser- und Klärwerke, medizinische Labore aber auch Seitenblicke in andere Grenzbereiche unternehmen, um unseren Blick auf Stille Örtchen zu erweitern und vom Gewohnten weg zu bewegen. 

Lassen Sie uns gemeinsam einen Bereich erforschen, den wir gerne nicht nur aus unserem gestalterischen Fokus schieben! 

Wir freuen uns auf den Beginn einer Reise mit Ihnen zu den stillen und vernachlässigten Orten der Gestaltung.