Jahrgangsübergreifendes Entwurfsprojekt zur Erarbeitung
eines spekulativen Beitrags für die Mode.
The political function of science fiction is not merely to forecast the day after tomorrow, but to make us aware about the problems we have in imagining it.
Peio Aguirre, „Semiotic Ghosts: Science Fiction and Historicism“, 2011
Entdecken ist nicht Reisen, es setzt aber Bewegung voraus. In diesem Projekt wollen wir der aktuell eingeschränkten Mobilität eine Agilität des Denkens gegenüberstellen. Die Welt und die Mode befinden sich im Ausnahmezustand. Es ist ein Moment in dem global agierende Großkonzerne Milliarden verlieren und Kleinunternehmen um ihre Existenz ringen. Produktionsabläufe sind unterbrochen, Materialien können teilweise weder hergestellt, noch verarbeitet werden. Der Einzelhandel erreicht seine Kund*innen nicht mehr. Selbst Anlässe, sich zu bekleiden fallen weg. Die Modewochen weltweit sind abgesagt.
Wie reagieren wir als Designer*innen auf diesen Umstand? Welche Perspektiven ergeben sich dadurch für die Zukunft? Sollten wir unsere Rolle als Gestalter*innen neu definieren und Abläufe im Designprozess anpassen?
Trotz Branchen-immanenten saisonalen Wandel erscheint die Modeindustrie schon seit einiger Zeit festgefahren, als würde diese Schnelligkeit müde machen, zu müde, um Veränderungen durchzusetzen. Und zu beschäftigt mit immer rasanter aufeinander folgendem kreativen Output, um mit Abstand das Gesamtbild kritisch betrachten zu können. Trotz skeptischer Stimmen blieben radikale Gegenvorschläge im großen Maße aus. Kommerzielle und globale Unternehmen sind aufgrund komplexer Strukturen behäbig und unabhängige Labels ökonomisch besonders anfällig, wenn es um die Umsetzung fundamentaler Veränderungen geht.
Welche Veränderungen und Initiativen sind aber bereits angestoßen worden und welche lohnt es zu vertiefen?
2015 sagte Miuccia Prada nach einer Modenschau in Mailand: „Now is not the time for crazy.“ Und sie behielt Recht. Angefangen von K-Holes Artikel „Youth Mode: A Report on Freedom“ (2013) und der damit verbundenen Proklamation des Normcore bis zur Kopie des DHL T-Shirts von Vetements, von Northfacejacken bis Teva- sandalen; die vergangenen Jahre waren so konservativ wie lange nicht davor, konservativ im Sinne des Reproduzierens im Gegensatz zum Innovieren. Die Laufstege waren gefüllt mit Kleiderstereotypen, Secondhand Kopien, Streetwear und Kreuzverweisen auf bestehende Bekleidungskontexte und -marken. Mode zeigte sich als postmodernes, selbstreferentielles und kommunikatives System, sie folgte damit der Logik der Memes.
Wir wollen die aktuelle Situation der Kontaktbeschränkung, die dadurch limitierten Ressourcen und einhergehende Verlangsamung zum Anlass nehmen Strukturen, Abläufe und Werte der Mode zu besprechen. Wir werden über die Rolle der Mode in der Gesellschaft, ethische Konflikte und über heutige gestalterische Praxis diskutieren. Es fehlen Patentlösungen sowohl in der Industrie als auch in der Lehre, deswegen soll dieses Entwurfsprojekt ein offener Raum sein, brisante Themen zu besprechen, spekulativ zu arbeiten und durch Improvisation zu innovieren. Sowohl die Themen, als auch die Zielsetzung und der Ablauf des Projekts werden zusammen mit den Projektteilnehmenden entwickelt werden.
Strategien des Science Fiction sollen dabei eine zentrale Rolle spielen. Hierzu werden wir Beispiele aus der bildenden Kunst, der kritischen Theorie und der Literatur heranziehen und Techniken des Storytelling, des Worldbuilding, der Entfremdung und der Spekulation zur Grundlage für die Entwurfsprojekte nutzen. Denn wenn wir uns keine Zukunft vorstellen können, bleibt uns nur noch eine unendliche Gegenwart. Und diese Gegnwart sieht nicht nur auf den Laufstegen apokalyptisch aus. In diesem Entwurfsprojekt werden Studierende individuelle Zukunftsszenarien entwickeln und spekulative Designbeiträge gestalten. Hierbei kann eine Veränderung im Designprozess, beispielsweise durch den Verzicht eines Arbeitsschrittes wie dem Nähen, eine fantasievolle Geschichte oder eine hypothetische Veränderung in der Gesellschaft die Grundlage für die Gestaltung sein. Das Entwurfsprojekt soll durch Lektüre, Austausch und Experimente geprägt sein. Es ist ergebnisoffen und es können neben digitalen Entwürfen auch Texte, Konzepte, Prozesse oder Modellstadien entstehen. Die individuellen Anforderungen werden zwischen Lehrenden und Studierenden im Laufe des Projekts vereinbart.
Wir wollen mit diesem Projekt Neuland betreten, dafür braucht es Bewegung. Bewegung braucht Freiheit. Deswegen können wir keine etablierten Wege erneut bestreiten. Das Modedesign beschäftigt sich grundsätzlich mit hypothetischen Zukünften. In diesem Projekt wollen wir das spekulative Arbeiten und die kritischen Beiträge besonders in den Vordergrund stellen und damit individuelle und vielseitige Vorschläge entwickeln. Auf dem Weg dahin wollen wir gegenseitig vom Wissen der Anderen profitieren.
Text: Prof. Lars Paschke
Betreut durch Prof. Susanne Ostwald, Prof. Lars Paschke, KM Sofia Löser, Isabel Fiedler
Studierende: Lilo Müller, Martina Tiefel, Sarah Born, Annabel Frenzel, Anna Baydak, Nadja Winter, Anna Fenderl, Josephine Antonia Kraus, Miriam Hantzko, Paula Maria Rieß, Alessa Tamara Scivoli, Wiebke Lendewig