Bekleidung trägt die Selbstkonzeption der Träger*in in den öffentlichen Raum. Sie kommuniziert neben unmittelbaren kulturellen, sozialen und ökonomischen Einflüssen eben auch die „Idee“ der Träger*in von sich selbst und womit sie sich assoziieren möchte. Dabei kann es sich beispielsweise um eine bewusste Positionierung auf dem Genderspektrum, um eine performative Darstellung von Macht oder eine Ablehnung hegemonialer Körper-, und Schönheitsideale handeln. Ein Trenchcoat in typischer beiger Baumwollgabardine, wie einst in den Schützengräben, doch relativ bald von klassischen Filmstars wie Humphrey Bogart oder Audrey Hepburn, sowie später von Mods und Intellektuellen der 60er getragen, kommuniziert dabei etwas anderes als das gleiche Kleidungstück aus schwarzem Lederimitat, welches durch die Assoziation mit der Gothicszene der 80er und 90er Jahre und Fetischkulturen geprägt ist. In der Publikation Modebilder von Prof. Dr. Diana Weis, macht die Autorin auf eine Verschiebung dieser Performance von Mode aus dem öffentlichen in den digitalen Raum aufmerksam und stellt dabei bereits im Untertitel der Veröffentlichung die These auf, dass sich Mode vom real life, also vom echten Leben, den Straßen und öffentlichen Plätzen, verabschieden würde, um einem digitalen Modebild zu weichen, welches wiederum häufig in privaten Räumen inszeniert und produziert wird. Neben klassischen Haulvideos, Content zu Selbstwerbezwecken oder sex-positiven Positionen, findet sich darunter, begünstigt durch die Technologie der Facefilter, vermehrt eine Ästhetik des Fantastischen und Monströsen wieder. User*innen posieren beispielsweise mit Elfenohren, in blau eingefärbter Haut oder vermeintlich massiven Eingriffen plastischer Chirurgie, alles nur temporäre Veränderungen der Körper. Digitale Filter beschränken die möglichen kurzweiligen Ausdrucksformen nicht länger nur auf Bekleidung. Diese spielerischen Mittel der Veränderung sollen in diesem Projekt erkundet und Wege gefunden werden, die formellen und inhaltlichen Aspekte dieses Phänomens in eine zeitgemäße Kollektion zu übertragen, um sie sozusagen zurück ins real life zu befördern. 

Wie kann sich die Konstituierung in Mode übertragen? Welche ästhetischen Beobachtungen machen die Projektteilnehmenden? Wie können die Thesen in Oberflächenstrukturen, Farben und Bekleidungstypologien übertragen werden? Wie kann eine Transformation aussehen? In welchen Zwischenstadien möchten die Teilnehmenden verharren? Wo möchten Sie Unruhe stiften, Unbehagen auslösen?

Die Auseinandersetzung mit künstlerischen Positionen, insbesondere der Musikvideos von Björk, Arca, SOPHIE, Planningtorock und Fever Ray, sowie mit Theorien von Paul Preciado, Donna Haraway, Rosi Braidotti und Silvia Federici soll Projektteilnehmenden ermöglichen, das Phantastische in der Konstituierung von aktuellen Modebildern in verschiedenen Diskursen zu situieren, um Thesen für das verstärkte Aufkommen dieses Phänomens zu formulieren und eigene künstlerisch-gestalterische Positionen zu beziehen. 2018 kuratierte die Arbeitsgruppe Coven Berlin die Ausstellung EXTRA+TERRESTRIAL im Schwulen Museum Berlin. Hierbei wurden Positionen zusammengeführt, die sich durch die Wiederaneignung von Figuren der Otherness kennzeichneten. [D]ie Wiederaneignung gruseliger, monströser, „fremder“ Figuren des „Anderen“ [ermöglicht] die Erfahrung eines vereinten Selbst und Körpers mit grenzenlosen Möglichkeiten der Identifikation und des Ausdrucks, anstatt sich zwischen verschiedenen Kontexten zu spalten, in die man niemals perfekt passen kann.“ 

Die Räume zwischen tradierten Dichotomien wie männlich und weiblich, natürlich und technologisch, Phantasie und Realität, Magie und Wissenschaft sollen von den Projektteilnehmenden erkundet und verhandelt werden. Dabei sollen die fabulierten Kreaturen, deren Logik sozialen Machtdynamiken unterliegt, durchaus als Positionen des Widerstands begriffen werden.

Das Fabulieren ist der Mode inhärent und wird in den saisonalen Projektionen auf den Laufstegen sichtbar. Sie befindet sich also vorerst in einem hypothetischen Zustand. Dieses Fabulieren soll in diesem Projekt als bewusste Technik der Positionierung und des world building begriffen werden. 

 

Das Projekt wurde im Wintersemester 2020 begonnen und konnte aufgrund eines erneuten Lockdowns nicht wie geplant beendet werden. Deswegen konnten Studierende wählen, ob sie das Projekt mit einer individuellen Schwerpunktsetzung und einer Erweiterung der Kollektion weiterführen oder mit einer verminderten Abgabe beenden wollten. 

 

Ursprüngliches Ziel des Projekts waren Kollektionen von 3 bis 5 Outfits, ein Modeclip, sowie ein Instagram Account, der die traditionelle Projektdokumentation ablöst. Im vergangenen Semester arbeiteten Studierende an skulpturalen Schnittkonstruktionen, die den fabulierten Kreaturen entsprechen und in Kleidungsstücke integriert werden sollten. In einem Vortrag stellte Prof. Dr. Diana Weis aktuelle Überlegungen zu ihrer Publikation Modebilder vor. Sarah Effenberger, Designerin der genderqueeren Labels Fomme und Effenberger Couture gab den Projektteilnehmenden Feedback zur Zwischenpräsentation. Eine Exkursion an das Berliner Haus der Kulturen der Welt, sowie zu den Ausstellungen des Hamburger Bahnhofs und der Julia Stoschek Collection waren geplant, mussten jedoch aufgrund von Reisebeschränkungen abgesagt werden. Am 14.04. 2021 wird Ariane Pauls, Co-Kuratorin der Ausstellung Bilderatlas Mnemosyne am HKW, einen Vortrag über die Ausstellung im Rahmen des Jour Fixes halten. Hierbei werden insbesondere Aby Warburgs Pathosformeln für Projektteilnehmende von Interesse sein, um an der individuellen Projektdokumentation zu arbeiten.

Neben den individuellen Schwerpunkten wird es im Sommersemester 2021 eine Einführung in den Kollektionsaufbau und die Entwicklung von Accessoires geben. Zudem sollen die individuellen Instagramaccounts als Projektdokumentation weitergeführt und in diesem Semester insbesondere die Funktionen des Geotagging, der Verlinkung und Hashtags genutzt werden, um Referenzen, Verweise oder auch semiotische Kommentare darzustellen. 

Gäste, Screenings und Lektüre werden das Projekt weiterhin begleiten, um möglichst viele Einblicke und Perspektiven auf dieses komplexe Thema und in die Modedesignpraxis zu erhalten. 2 Plätze können von Studierende im Sommersemester 2021 noch belegt werden. Mit ihnen wird zu Beginn des Projekts ein individueller Projektablauf gestaltet werden.

 

 

* Der Workshop "unimportent essentials" bei KM Sofia Löser ist in das Projekt integriert. (Siehe Lehrangebote)