Ein weiteres Auschwitz zu verhindern wurde in der Philosophie der Nachkriegszeit – unter anderem von Theodor W. Adorno und Hannah Arendt – als zentrale Aufgabe jeglicher Bildung und Wissenschaft betrachtet. Es wurde eine konsequente Aufarbeitung nationalsozialistischer Politik, Wirtschaft, Kultur und Forschung gefordert. Eine jede Disziplin sollte ihre Instrumentalisierung und Beteiligung an dem Genozid kritisch reflektieren, damit ein vergleichbares Verbrechen nie wieder geschehen kann.
80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz wollen wir diesem Bildungsziel nachkommen, indem wir uns der Komplizenschaft der Designdisziplin mit Nationalsozialismus, Faschismus sowie totalitärer und autoritärer Herrschaft widmen. Denn die Designgeschichte ist, wie der Designhistoriker Michael Erlhoff 2021 angeprangerte, durchsetzt mit nationalsozialistischen Gestalter*innen, deren Rolle im Faschismus historiographisch weitestgehend ignoriert wird. Die Frage, weshalb hochprofessionalisierte Entwurfs- und Gestaltungspraxis zur Vernichtung unschuldiger Menschen vereinnahmt werden konnte – als auch wie solch eine Vereinnahmung zukünftig zu verhindern sei – wird bis heute nicht adäquat diskutiert.
Wir wollen das Seminar nutzen, um uns diese blinden Flecken und ihre Konsequenzen genauer anzuschauen. Dafür werden wir uns zunächst mit dem Entwurf des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz beschäftigen sowie seiner Rezeption in Designtheorie und -geschichte. Anhand des philosophischen Konzepts der instrumentellen Vernunft soll zunächst eine philosophische Erklärung diskutiert werden, wie es zum Entwurf nationalsozialistischer Infrastruktur kommen konnte. Davon ausgehend widmen wir uns der Frage, was für Konsequenzen es hat, dass die Rolle des Designs im Nationalsozialismus noch nicht annähernd zufriedenstellend aufgearbeitet wurde, und wie eine solche Aufarbeitung aussehen könnte.
Abschließend werden wir gemeinsam überlegen, wie eine Designtheorie, Designpraxis und Designlehre heute und zukünftig beschaffen sein müssten, die in der Lage sind, den Entwurf weiterer Konzentrations- oder Vernichtungslager zu verhindern.
Formalia:
Die im Seminar genutzten Quellen sind hauptsächlich philosophische, designtheoretische und -historische Texte, wir werden aber auch filmisches Material sichten. Die Texte und Filmmaterial sind in deutscher und englischer Sprache. Studierende, die nicht über Englisch- oder Deutschkenntnisse verfügen, sind trotzdem ausdrücklich im Seminar willkommen. Sie sind jedoch gebeten, Mara Recklies vor Veranstaltungsbeginn zu kontaktieren, damit individuelle Lösung gefunden werden können und eine gute Lehre für sie gewährleistet bleibt.
6 ECTS können (für den MA Design Studies) über Referat mit schriftlicher Ausarbeitung oder eine Hausarbeit erworben werden, 2 ECTS über ein Kurzreferat oder die schriftliche Beantwortung einiger am Ende des Seminars ausgegebenen Fragen. Die Beantwortung der Fragen erfolgt nicht im Rahmen einer zentralen Klausur, sondern zuhause im Zeitraum von einem Monat während der vorlesungsfreien Zeit.
Ein wichtiger Hinweis:
Wir werden uns in diesem Seminar mit ausgesprochen gewaltvollen Inhalten, darunter antisemitische Gewalt, Ableismus und Antiziganismus widmen. Die Überlegung, wie wir uns sensibel und verantwortungsbewusst mit derartigen Themen auseinandersetzen können, wird uns ständig begleiten. Ebenso wie die Frage, welche Distanzierungs- und Selbstfürsorgetechniken wir - als Forschende und Lernende - zu unserem eigenen Schutz einsetzen können.
Einführende Literatur:
Adorno, Theodor W.: „Erziehung nach Auschwitz“, in: Kulturkritik und Gesellschaft II. Gesammelte Schriften, Band 10.2, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003.
Erlhoff, Michael: Im Schatten von Design. Zur dunklen Seite der Gestaltung. Birkhäuser, Basel 2021
Katz, Eric (Hrsg.): Death By Design: Science, Technology, and Engineering in Nazi Germany. Routledge, London 2005.
Recklies, Mara: „Designkritik nach Auschwitz. Zur kritischen Theorie des Designs“. In: Brümmer, Katrin/ Weltzien, Friedrich (Hrsg): Kritik als Haltung und Methode. Transcript, Bielefeld 2024, S. 16-34.