Globale Krisen erschüttern die Gegenwart und destabilisieren die Weise, in der wir gewohnt sind, die Welt und uns zu verstehen. Damit unterbrechen sie den Automatismus unseres Handelns und bringen dessen Ideengebäude zum Vorschein. Sie machen sichtbar, dass Ideen unser Handeln bestimmen. Und umgekehrt, dass unsere Handlungsweisen auf das Ideengebäude zurückwirken. Daraus ergibt sich zugleich eine Chance. Diese wollen wir als Reflexion der vielfach verschränkten und sich wandelnden Aspekte einer Ideengeschichte aufgreifen, aus der Neues entspringen kann: eine Vielfalt von Geschichtslinien, Übertragungen und Diskontinuitäten, welche Spielräume in der Gegenwart eröffnen können.

 Vor 102 Jahren, 1923, gründete Arthur O. Lovejoy mit Gleichgesinnten den History of Ideas Club an der Hopkins University in Baltimore, USA. Lovejoy ging in seiner einflussreichen Publikation Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens (dt. 1985, The Great Chain of Being, 1936) davon aus, dass es Elementarideen, von begrenztem Umfang und unveränderlich, gäbe, die immer wieder in neuer Kombination wirksam würden. Alternativen zu Lovejoy’s kulturgeschichtlichem Ansatz wurden in der Folge von verschiedenen Autor*innen entwickelt, denen die Entwicklungsgeschichte von Lovejoy, trotz seiner Verfolgung interdisziplinärer Entwicklungsstränge, zu linear erschien.

 Einflussreich wurde Michel Foucaults Konzept des Diskurses, aufgefasst als vielschichtige Verschränkung einer „Praxis des Denkens, Schreibens, Sprechens und auch Handelns, die diejenigen Gegenstände, von denen sie handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt“. Auch wenn sich Michel Foucault in der Archäologie des Wissens (dt. 1973, französ. L’archéologie du savoir, 1969), aus der das Zitat stammt, bewusst und zum Teil polemisch von der Ideengeschichte abgesetzt hat, so entwickelte er seine Diskursanalyse doch in Relation zum History of Ideas Club.

Weitere Alternativkonzepte lassen sich ausmachen. Auf der Bild- und Symbolebene Aby Warburgs Programm der Pathosformel, einer universal aufzufindenden, leibhaftigen Zeichen- und zeitlos gültigen Gebärdensprache für Gefühlszustände, dargelegt in seinem Bilderatlas Mnemosyne (1920er). Sich abstoßend von Warburg und Foucault werden die durch Mieke Bal für die Literatur- und Kulturwissenschaften stark gemachten „travelling concepts“ (Bal, 2006) interessant, also mit Problemstellungen verbundene Begriffe, die in jeweils fachspezifischen Adaptionen eine notwendige Grundlage für interdisziplinäre Dialoge darstellen.

Ideen entwickeln sich nicht linear fortschrittsorientiert evolutionär. Sie wandern zwischen den „Disziplinen“, gehen Solidaritäten ein, werden, gebunden an materielle Träger – wie Bilder, Narrationen, Theoriegebäude, Environments oder Theaterinszenierungen – verkörpert, aktualisiert und transformiert. 

 Die Vortragsreihe wird Ideen und Diskurse vorstellen, die gesellschaftliche und historische Debatten und Aktionsradien prägen und die durch eventuelle Kontinuitäten oder aufschlussreiche Brüche bestimmt sind. Künstlerische Vorgehensweisen, philosophische und politische Diskurse, kunstpädagogische Denkweisen, Perspektiven der Kunstvermittlung, situative und trans-disziplinäre Kontexte sollen im jeweiligen Feld ihrer Eingebundenheit und im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Differenzierungen beleuchtet werden. Denn wir brauchen heute Ideen, die Gemeinschaft neu vorstellen, die Handlungsformen befragen, die ein Vertrauen in künstlerische und transdisziplinäre Prozesse des Denkens und Handelns, der Taktiken und Praktiken setzen, um Möglichkeitsräume zu eröffnen.

 

Programm 

7. April  

Einführung: Prof. Dr. Nike Bätzner, Prof. Dr. Sara Burkhardt, Prof. Dr. Marita Tatari

Prof. Dr. Nike Bätzner (BURG)

Radikale Sensibilität als Grundlage für künstlerischen Aktivismus

Aktiv zu sein ist notwendig in einer Zeit, in der imperialistische Rivalitäten und der zum Teil auch mit Waffen ausgeübte Kampf zwischen Totalitarismus und Demokratie wieder akut sind. Eingebettet ist dies in den Horizont polyvalenter Krisen und die Annahme einer Zukunft, die keine Heilsversprechen mehr birgt. Aktivist*innen kritisieren vermeintlich unausweichliche Gegebenheiten, wollen handeln, aufbrechen, gestalten, wachrütteln, umkrempeln – und sind dabei erfindungsreich und schöpferisch. Daher sind die Künste prädestiniert dafür, zur Plattform für aktivistische und hoffnungsvolle Ausdrucksformen zu werden. Ein künstlerischer Aktivismus kommentiert nicht bloß, sondern strebt Veränderungsprozesse an und greift in gesellschaftliche Transformationsprozesse ein. Im Vortrag wird es um Kunstformen gehen, die dem Zusammenhang von individueller Selbstermächtigung und dominanten repressiven Strukturen aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Verfahren auf der Basis einer „radikalen Sensibilität“ begegnen. Um Kunst, die sich nicht einfach in den Institutionen einrichtet, sondern auf die Straße drängt. 

Nike Bätzner ist Professorin für Kunstgeschichte/Kunstwissenschaften an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle; außerdem ist sie tätig als Ausstellungskuratorin und Publizistin. Schwerpunkte ihrer Forschungen umfassen u.a. die Geschichte des Präsentierens, die Rezeption optischer Medien in der Kunst, das Performativwerden von Skulptur, die Entfaltung von Möglichkeitsräumen sowie ideengeschichtliche Fragestellungen. 

 

14. April

Prof. Dr. Marita Tatari (BURG)

Die Leerstelle der Idee: Hegemonie und Heteropoiesis

Für eine für den Westen maßgebliche philosophische Tradition, die mit Hegel verbunden ist, bezeichnet der Begriff „Idee“ keine intellektuelle Abstraktion, sondern den Gang der Geschichte. Ein kulturelles Moment – eine Weise, die Welt zu bewohnen und sich auf sich selbst und die anderen zu beziehen – ist demnach ein Zu-sich-Kommen der Idee. Weil aber die Idee nichts als ihre Selbstdifferenz in einer konkreten Aktualisierung ist, bringt jedes kulturelle Moment zugleich seine eigene Überschreitung in Gang. Das nennt sich Fortschritt. 

Diese Geschichtsauffassung, die das Selbstverständnis des Westens prägte, zerfällt. Geschichte wird akzidentell und von chaotischen Kollisionen bestimmt. Zugleich erleben wir eine technoökonomische Überlappung und die Diffraktion aller Beziehungen. Im Vortrag werde ich die Leerstelle der Idee als Schnittstelle zwischen der Autopoiesis der technoökonomischen Hegemonie einerseits und der Heteropoiesis einer künstlerisch-denkerischen Praxis andererseits herausarbeiten und zur Diskussion stellen.

Marita Tatari ist Professorin für Kunstphilosophie und Kulturtheorie an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Ihre Arbeit reflektiert die kulturellen Transformationen der Gegenwart im Spannungsfeld von Kunst, Politik und Philosophie. Zu ihren Publikationen zählen: Kunstwerk als Handlung (2017), Thinking With – Jean-Luc Nancy (Mithrsg., 2023) und Hannah Arendt und die Weltlichkeit der Künste (Mithrsg., erscheint 2025).

 

28. April 

Prof. Dr. Gila Kolb (Schwyz, CH) 

Was meint eigentlich: Zeichnen Können? 

Zeichnen und Können sind zwei Paradigmen des Unterrichts im Schulfach. Aber warum ist das Zeichnen überhaupt so wichtig für den Kunstunterricht? Was bedeutet es für ein Schulfach, mit einer Technik verbunden zu sein, die eng mit einer Technik verknüpft ist, die heutzutage fast schon anachronistisch erscheint? In der Gegenwartskunst wurde die Frage nach der „Meisterschaft“ in einer Technik seit der Moderne konsequent in Frage gestellt und subversiv bearbeitet. Das Zeichnen wird in den gegenwärtigen Künsten nicht so gelehrt, wie im Schulfach Kunst. Wie könnte es gehen, nicht dermaßen zeichnen zu lehren und das Zeichnen als etwas zu verstehen, das nicht gekonnt wird, sondern an dem sich etwas zeigen lässt? Anhand des Zeichnens, Könnens und Verlernens wird in diesem Vortrag eine kunstpädagogische Position entfaltet, die dem Gründungsmedium des Kunstunterrichts sowie aktuellen medialen und gesellschaftlichen Bedingungen des Lernens nachgeht. 

Gila Kolb ist forschende Kunstpädagogin und Kunstvermittlerin. Sie leitet die Forschungsprofessur Fachdidaktik der Künste an der Pädagogischen Hochschule Schwyz. Arbeitsschwerpunkte und Interessen: Zeichnen können im Kunstunterricht, Strategien und agency von Kunstvermittler*innen, Verlernen, Bedingungen postdigitaler Kunstpädagogik. 

aligblok.de; thearteducatorstalk.net

 

5. Mai 

Prof. Dr. Miriam Schmidt-Wetzel (Zürich, CH)

In Inter-Aktion: Ideen in, durch und für Kunst und Bildung

Miriam Schmidt-Wetzel erzählt im Vortrag ihre persönliche Ideengeschichte als Künstlerin, Kunstlehrerin und Forscherin in Kunstdidaktik. Sie rekonstruiert exemplarisch die vielfältigen Einflüsse, die ihr professionelles Handeln prägen, und arbeitet heraus, dass der sozialen Interaktion dabei eine besondere Rolle zukommt. Das zu betonen, scheint für das Feld der Kunstdidaktik weiterhin angebracht. Denn obwohl seit einiger Zeit zunehmend kollaborative Projekte und Forschungsarbeiten zum Thema entstehen, ist die Kunstpädagogik – anders als etwa Musik- oder Theaterpädagogik – traditionell und weiterhin geprägt von der Vorstellung eines lernenden Subjekts in Auseinandersetzung mit dem Material, Thema oder Kunstwerk. Entlang verschiedener Beispiele, sowohl aus der kunstpädagogischen Praxis als auch aus der zeitgenössischen Kunst, entwickelt Miriam Schmidt-Wetzel ein differenziertes Bild von Kunstdidaktik als Handeln im Dazwischen und lädt die Zuhörenden ein, den interaktiven Momenten in der eigenen Ideengeschichte nachzugehen.

Miriam Schmidt-Wetzel ist Professorin für Fachdidaktik Kunst und Design an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie lehrt und forscht im Bereich Art Education und leitet das PhD-Programm Fachdidaktik Art & Design. Ihr Fokus liegt auf den Wechselwirkungen zwischen sozialen, bildnerischen und Bildungsprozessen vor dem Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen und Herausforderungen. Mit der Plattform collaeb engagiert sie sich für den Aufbau digitaler Strukturen für Austausch und Zusammenarbeit zwischen Praxisfeldern, Institutionen und Generationen. 

 

12. Mai 

Prof. Dr. Nikita Dhawan (Dresden) 

Die Aufklärung vor Europa retten: Kritische Theorien der Dekolonisierung

Die Postcolonial Studies setzen sich mit dem Erbe des weltweiten Kolonialismus und Imperialismus auseinander. Diese Forschungsrichtung hat in den letzten Jahrzehnten aufgezeigt, inwiefern auch die heutige Welt noch massiv von kolonialen Strukturen geprägt ist. Derzeit werden die Postcolonial Studies jedoch selbst von verschiedenen Seiten kritisiert. Ihnen wird vorgeworfen, gegen die Aufklärung und nihilistisch zu sein, eurozentrisch und schließlich antisemitisch. Die politische Philosophin Nikita Dhawan argumentiert jedoch dafür, dass diese Vorwürfe auf Missverständnissen des Projekts der Dekolonisierung beruhen. Erstens setzt sich dieses Projekt zwar für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Erbe der Aufklärung ein, lehnt die Errungenschaften der Aufklärung aber keineswegs kategorisch ab. Zweitens kritisieren die Postcolonial Studies nicht nur den europäischen Kanon, sondern streiten darüber hinaus für eine Erweiterung des Kanons um bislang ungehörte Stimmen. Drittens, schließlich, ist es in Dhawans Augen unerlässlich, die „unvollendeten Gespräche“ zwischen Postcolonial und Holocaust Studies weiterzuführen.

Nikita Dhawan ist Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden. Ihre Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind globale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Demokratie und Dekolonisierung. 2017 erhielt sie den Käthe-Leichter-Preis für herausragende Leistungen in der Frauen- und Geschlechterforschung sowie für die Unterstützung der Frauenbewegung und die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter. Im Jahr 2023 war sie Gerda-Henkel-Visiting Professor an der Stanford University und Thomas-Mann-Fellow. 

 

19. Mai 

Prof. Dr. Nora Sternfeld (Hamburg) und Oliver Marchart (Wien)

„Alle“. Eine politische und pädagogische Ideengeschichte 

Alle sind nie alle. Auch wenn wir alle aufrufen wollen, bleibt immer jemand außen vor, ist jemand nicht mitgemeint. Diesen konstitutiven Ausschluss beschreibt Ernesto Laclau als Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus. Eine demokratische Idee von Volkssouveränität zielt, trotz dieser paradoxen Unmöglichkeit, auf den Einschluss „aller“ in die Kategorie des Volkes. Radikale Demokratie besteht also genau darin, das „konstitutive Außen“ zugleich anzuerkennen und im konkreten immer wieder auf einer Politik zu bestehen, in der, wie Jacques Rancière in „Das Unvernehmen“ schreibt, der Teil ohne Anteil seinen Anteil einfordert. Oliver Marchart und Nora Sternfeld gehen dem Begriff „Alle“ vor dem Hintergrund seiner Ausschlüsse aber auch seiner Bedeutung in Kämpfen um Gleichheit nach und fragen nach seinen politisch-theoretischen und pädagogischen Implikationen.

Nora Sternfeld ist Kunstvermittlerin und Kuratorin. Sie ist Professorin für Kunstpädagogik an der HFBK Hamburg und publiziert zu Kunst, Bildungstheorie, Ausstellungen, Geschichtspolitik und Antirassismus.

Oliver Marchart ist politischer Theoretiker. Er ist Professor für politische Theorie an der Universität Wien und publiziert unter anderem zum Verhältnis von Kunst und Politik.

 

26. Mai 

Prof. Dr. Cecilia Sjöholm (Stockholm, SWE) 

Descartes, images and drives

In René Descartes philosophy, images are central. He used engravings in his natural philosophy, in order to explore aspects of nature that are not visible to the eye – including the inside of the human body. At the same time, his theory of mind relies on ideas of inner images, memories and fantasies. He describes states between sleep and wakefulness, where our perception is more conditioned by physical states and neurological traces than things in the outer world.  The same goes for visual impressions in states of dream: dreams “are like paintings”, in which one can only trust the realness of colors. In my talk I will be discussing the status of inner images in Descartes, relating his ideas to psychoanalytical theories of the gaze as a concept of drive. Inscribed in the Cartesian explorations of light and vision we find a scopic drive –figured through dissections of organs: the origin of the gaze, the origin of thought, the origin of memories and so on. Descartes images line the limits of what we cannot see: rather than merely completing a theory of perception, they also figure a vanishing point, what Jacques Lacan has called anamorphosis.

Cecilia Sjöholm is professor of Aesthetics at Södertörn University. Her published research is particularly focused on the relation between art and politics in contemporary culture. Her recent publications include Aisthesis II, ed with Sven-Olov Wallenstein, 2023), Doing Aesthetics with Arendt; How to See Things (Columbia UP 2015). Her latest book Through the Eyes of Descartes; Seeing, Thinking, Writing (with Marcia Cavalcante Schuback, Indiana UP, 2024), examines Descartes as a thinker of a baroque aesthetics, and brings forth a pre-conceptual subject of the senses, and of desires and drives. 

 

2. Juni 

Prof. Dr. Susanna Lindberg (Leiden, NL)

AI: Artificial Imagination

This talk reflects on the philosophical presuppositions of artworks made with the help of AI. Such works illustrate my more general claim that in order to understand works-of-AI, we should not look at them as works of intelligence (aiming at logos) but at most as works of imagination (playing with mimesis). But can it even be said that AI imagines? To clarify this issue, the talk follows the idea of imagination as formulated by Kant and then developed by Derrida, Lacoue-Labarthe and Nancy. In this line of thought, it becomes possible to think that imagination is not only a free gift of nature, but always already a technics. For these philosophers, it is a particular technics whose law is mimesis, that is, capacity of producing and sharing semblances, fictions and figures. Is this also what a generative AI does? The talk distinguishes more and less imaginative uses of AI in art and suggests, in the end, that even if it cannot be said that a generative AI imagines, still, in best cases, imagination can take place in well-constituted assemblies between humans and AIs.

Susanna Lindberg is professor of continental philosophy at the University of Leiden, Netherlands, and academic director of the Institute for Philosophy of the University of Leiden. She is specialist of German idealism, phenomenology, and contemporary French philosophy. In recent years, her research has carried on the question of technology, and she has also worked on the philosophical question of art. In her new research she focuses on ecological questions. Her publications include From Technological Humanity to Bio-Technical Existence (SUNY, 2023) and Techniques en philosophie (Hermann, 2020).

 

16. Juni

Prof. Dr. Charlotte Klonk (Berlin) 
Im Namen des Volkes gegen das Parlament

Bis vor kurzem ging man davon aus, dass die Demokratie in Ländern, in denen sie lange praktiziert wurde, nicht wirklich in Gefahr ist. Niemand nahm an, dass dort die politischen Institutionen grundsätzlich bedroht seien. Doch spätestens nach der Erstürmung des Kapitols in Washington, D.C., am 6. Januar 2021 geriet diese Gewissheit ins Wanken. Der Populismus greift die Demokratie in ihrem Namen an und entfesselt eine wirkungsvolle Schmähbildproduktion, die dem Stil der Bildpublizistik der Französischen Revolution in nichts nachsteht. Die Repräsentation durch Parlamente und Parteien wird als Verschwörung zur Entmachtung des Volkes dargestellt. In diesem Vortrag soll es um die jüngere Bildgeschichte der Erstürmung von Parlamenten gehen. Zeigt sich in ihnen, so soll gefragt werden, ein Aufbegehren des Volkes gegen seine Repräsentanten, oder weisen die Zeichen in eine andere Richtung? Geht es um urdemokratische Volkssouveränität oder eher um das Erzwingen eines Systemwechsels?

Charlotte Klonk ist Professorin für Kunst- und Neue Medien an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Bildgeschichte der Demokratie. 2017 erschien ihr Buch Terror. Wenn Bilder zu Waffen werden und 2022 der Essayband Revolution im Rückwärtsgang. Der 6. Januar 2021 und die Bedeutung der Bilder.

 

23. Juni
Prof. Dr. Sara Burkhardt (BURG)

Material im Prozess – Zur Entfaltung einer Materialbildung

In Lehr- und Lernprozesse lassen sich Materialien und Objekte nicht nur unterschiedlich einbinden, sie unterscheiden sich auch aufgrund des Grades ihrer didaktischen Vorprägung. Manche Objekte wurden für Unterrichtszwecke entwickelt, aber auch Dinge des Alltags erfahren im Unterricht eine Umnutzung oder finden eine überraschende Verwendung. Im Kunstunterricht spielen Fundstücke aller Art eine Rolle, Rohmaterialien, Überreste und persönliche Sammlungen. Künstler*innen nutzen den symbolischen Charakter eines Materials oder arbeiten bewusst gegen seine tradierte Verwendung. Materialien erzählen etwas über regionale Besonderheiten, von Konflikten, ökologischen Herausforderungen oder Strukturwandel. In Objekte transformiert verweisen sie auf menschliche Anwesenheit, belegen Handlungen und Konventionen. Im Vortrag wird anhand von historischen, gegenwärtigen und in die Zukunft weisenden Beispielen gezeigt, wie sich Ideen von Material und Materialität in Bildungskontexten manifestieren. Dabei wird auch thematisiert, wie Technologien die physisch-haptische Erfahrung auf sinnvolle Weise ergänzen können.

Sara Burkhardt ist Professorin für Kunstpädagogik und Kunstdidaktik an der BURG. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Kunstunterricht und Materialbildung, Kunstpädagogik und Ökologie im Kontext regionaler Transformationsprozesse, fachspezifische Aspekte von Klimabildung, Lernen mit Sammlungen und Archiven, Vermittlung im Kontext von Digitalität, forschende Ansätze im Unterricht. 
saraburkhardt.de

 

30. Juni
Prof. Dr. Niklaus Largier (Berkeley, USA)

Die Wunderkammer und die Materialität der Imagination

Wer mit frühneuzeitlichen Texten und Bildern arbeitet, wird sich schnell klar darüber, dass der Begriff der Imagination sich stark von modernen Vorstellungen unterscheidet und dass die Imagination viel stärker psychophysisch in der Materialität und der materiellen Erfahrung der Welt verankert ist. Im Vortrag wird es darum gehen, dieses materielle und kosmopoetische Verständnis der Imagination, das in einigen Aspekten die Rolle der Imagination in Formen des New Materialism vorweg nimmt, anhand von Beispielen nachzuzeichnen. Dabei wird die Wunderkammer als Sammel-, Repräsentations-, aber insbesondere als Erfahrungsraum eine wichtige Rolle spielen.

Niklaus Largier ist Professor für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of California, Berkeley. Seine aktuellen Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind die Geschichte der Imagination und der Emotionen sowie die Geschichte der Sinne und Produktion von Sinneserfahrung vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Im Jahr 2015 erhielt Largier den Anneliese Maier-Forschungspreis der Humboldt-Stiftung. 2022 erschien sein Buch Figures of Possibility: Aesthetic Experience, Mysticism, and the Play of the Senses, Stanford University Press. 2023 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Tiflis und der Universität Zugdidi in der Republik Georgien verliehen.

 

Ringvorlesung Sommersemester 2025
konzipiert von Prof. Dr. Nike Bätzner, Prof. Dr. Sara Burkhardt, Prof. Dr. Marita Tatari