Schwerpunktprojekt Illustration
WiSe 2020/21
Prof. Georg Barber
Tobias Jacob
„Shapes of time“ heißt eine ältere, fast zehnminütige Videoarbeit des belgischen Künstlers David Claerbout aus dem Jahre 1997.
In der Projektion ist eine statische Postkarte aus der Zeit um die Jahrhundertwende zu sehen.
Zwei Männer stehen auf einer Landstraße in der Nähe eines riesigen Baumes. In der Ferne ist eine Mühle und die Konturen eines Dorfes zu erkennen. Auf den ersten Blick erscheint in dieser pastoralen und malerischen Szene nichts Ungewöhnliches. Aber wenn der Betrachter genauer hinschaut, bemerkt er die Blätter des Baumes, die sich sanft im Wind bewegen.
Diese künstlerische Arbeit, in der die Postkartenaufnahme (datiert auf 1910) durch die digitale Bearbeitung mit Bewegung ergänzt wurde, ist ein großartiges künstlerisches Beispiel für die Sichtbarkeit von Zeit.
Das Wesen des Medium Comic ist immer die Darstellung von Bewegung und von Zeit.
Dazu reicht allein eine Abfolge von zwei Panels aus. Doch was passiert, wenn Comic-Panels stakkatoartig explodieren, wenn ein Bild anfängt zu atmen, wenn eine leichte Daumenbewegung auf einem Block Papier wilde Zeichnungen tanzen läßt?
Optische Instrumente und Apparate können spielerische Bewegungen von Bildern hervorrufen die neue Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten erzeugen. Deshalb möchte sich der Kurs bevorzugt mit der Funktionsweise von Bildapparaten auseinandersetzen, die eine neue künstlerische und formästhetische Bewegung von Bildern umsetzen können. Ziel ist eine Art illustrative Discokugel, wobei der Inhalt und die Narration nach hinten gestellt werden und die Poesie der Bildbewegung Vorrang besitzen sollte. Ob handgestaltet, digital bearbeitet oder im Eigenbau entwickelt – die verwendeten Techniken sind offen. Gerade vor dem Hintergrund der heutigen digitalen Bildpraxis besteht das Interesse des Kurses an der Interaktion von Sehen und Handeln, am Anteil des Künstlers, wie des Betrachters an der Bildentstehung und Bildbewegung.
Begleitet wird das Thema von einer intensiven Recherchearbeit zur Geschichte von optischen Spielen und Geräten, von den Anfängen des Kinos bis hin zur Op-Art. Zur künstlerischen Inspiration gehört die Auseinandersetzung mit verschiedensten vorkinematographischen Objekten, wie Daumenkino, Vexierbilder, Laterna Magica, Stereoskope, Kaleidoskope, Anamorphosen, Guckkasten, Thaumatrope, Zoetrope usw, sowie einflussreichen Künstlern, wie Heinz Emigholz, David Claerbout, Winsor McCay (Gertie), David Shrigley (Filme), Kara Walker, Ub Iwerks und Yuichi Yokoyama.
Eine Besonderheit des Projektes wird die Zusammenarbeit und der künstlerische Austausch mit dem Fachbereich Kunst sein. Der Kurs ist als Kooperation mit der Klasse für Grafik von Prof. Paul McDevitt angelegt. Es wird gemeinsame Vorträge, Konsultationen und Präsentationen geben. Am Semesterende sollen alle Ergebnisse in Form einer Filmnacht und Ausstellung im Puschkino Halle präsentiert werden.