Multisensuelles Design – Ganzheitliche Gestaltungskonzepte einordnen
Dozentin: Gast-Prof. Dr. Christina Katharina May
Vertiefungsmodul Design- und Architekturgeschichte
Der Ingenieur und ehemalige Burg-Professor Peter Luckner experimentierte und patentierte Modelle des „multisensuellen Design“. Internationale Workshops und interdisziplinäre Tagungen näherten sich dem Konzept an. Partizipative Aktionen gehörten dazu, phänomenologische Stadterkundungen oder auch psychologische Tests. Anhand der Studien, Dokumente, Patente und Planungen setzen wir uns im Seminar mit dem multisensuellen Design auseinander und suchen Anknüpfungspunkte in der Design- und Kulturgeschichte.
Die Multisensorik, Ganzheitlichkeit oder auch Synästhesie ist aus historischer Perspektive ganz unterschiedlich besetzt: Sämtliche Sinne werden zum Beispiel um 1900 von dem amerikanischen Philosophen John Dewey als zentrales Mittel der Erkenntnis gewichtet, der mit seinen Thesen programmatischen Einfluss auf die Reformpädagogik gewann. Ein ganzheitliches Konzept strebte auch aus gegenteiliger politischer Richtung der Musikwissenschaftler Ernst Rudorff an, dessen Schrift „Heimatschutz“ Grundlagen für die Heimatschutzbewegung von Paul Schultze-Naumburg schuf. Diese verschiedenen Ansätze ganzheitlicher Wahrnehmungsräume und mit ihnen verknüpften politischen Ideologien werden einführend kritisch untersucht.
Eine vollkommene andere Form multisensueller Wahrnehmung zeigt ein Blick in die Arbeits-Umwelt-Gestaltung in der DDR bzw. die Bestrebungen zur „Humanisierung der Arbeitswelt“ in der Bundesrepublik. Hier helfen semiotische Programme zur Ermittlung von Umwelteinflüssen auf die Körper und Psyche der Arbeiter*innen und ihrer Optimierung.
Ökologische Konzepte führen seit den 1970er Jahren zu einem Interesse an synästhetischen Ansätzen, um „Natur“ zu erhalten oder urbane Räume aus der Perspektive ihrer Nutzer*innen zu erschließen.
Schließlich wird die Kategorie der „Immersion“ wird unter wirkungsästhetischer Perspektive nicht nur für virtuelle, sondern auch für physisch anwesende Räume benutzt. Scott Lucas, Experte für Themenparks, zeigt in seinem „Immersive World Handbook“ wie komplette, kohärente Welten als Illusion für die Besucher*innen entstehen.
Das Seminar zeigt exemplarisch an Fallbeispielen, welche verschiedenen Gestaltungs- und Interpretationsansätze für multisensorisches Design relevant sind. Wir untersuchen mögliche Zugänge und Parallelerscheinungen aus historischer Perspektive. Dabei stellt sich schließlich die Frage nach der Einordnung: Wann befähigen die multisensuellen Wahrnehmungs- und Gestaltungskonzepte zu einer „leiblichen“, qualitativ hochwertigeren Erschließung und partizipative Mitgestaltung von realen Räumen (vgl. exempl. Hermann Schmitz)? Wann sind sie Mittel überwältigender Strategien für politische Ideologien oder Marketing?
Lern- und Qualifikationsziele BA und MA: Um die Lern- und Qualifikationsziele zu erreichen, wird eine regelmäßige Teilnahme erwartet sowie eine Einzel- oder Gruppenpräsentationen in Referatsform, ein Diskussionsimpuls (oder vergleichbar) oder die Ausarbeitung eines Thema in Plakat- oder Textform.
Lern- und Qualifikationsziele MA Design Studies: Um die Lern- und Qualifikationsziele zu erreichen werden neben der verpflichtenden Präsentation in Referatsform, Diskussionsimpuls (oder vergleichbar) eine zusätzliche, schriftliche Hausarbeit erwartet. Sie umfasst in der Regel ein Volumen von bis zu 20 Seiten. Eine vergleichbare vertiefende Leistung ist möglich.
Literatur wird digital und im Semesterapparat in der Bibliothek zur Verfügung gestellt. (Auswahl):
Brand, Anthony Richard (2023): Touching Architecture. Affective Atmospheres and Embodied Encounters. New York/London: Routledge.
Griffiths, Alison (2008): Shivers Down your Spine. New York: Columbia UP.
Lang, Johannes (2015): Prozessästhetik. Eine ästhetische Erfahrungstheorie des ökologischen Designs. Basel: Birkhäuser.
Lucas, Scott (2013): The Immersive Worlds Handbook. Designing Theme Parks. Burlington/Oxon.
Luckner, Peter (2002): Multisensuelles Design. Eine Anthologie. Ergebnisse und fachwissenschaftlicher Kontext des Modellversuch im Hochschulbereich an der Burg Giebichenstein - Hochschule für Kunst und Design Halle. Halle (Saale).