„Die Frage der Spezifität in Bezug auf einen Ort, die eines der Anliegen der ortsspezifischen Arbeiten ist, betrifft auch die Frage der Differenzierung von Orten. In dem Moment, in dem wir die Spezifität bekräftigen, weisen wir darauf hin, was diesen Ort in Bezug auf andere unterscheidet. (…) In einer Welt der Globalisierung und damit der Verflachung von Unterschieden scheint die Bekräftigung der Differenz und der Besonderheit das Herausstechende in den glatten Räumen des Spätkapitalismus zu erzeugen und damit den streitbaren und kritischen Charakter der Praktiken zu zeigen, die Spezifität als Bestandteil haben.“
Jorge Menna Barreto und Raquel Garbelotti, 2004 (freie Übersetzung aus dem Portugiesischen)
Künstlerische Praktiken aktualisieren seit den späten 1960er Jahren die Bedeutung der ortsspezifischen (site-specific) Kunst. Das Seminars möchte, auf der Grundlage der Analyse medialer, politischer, künstlerischer und sozialer Raumfragen, über verschiedene Formen der Raumbesetzung und -beziehung in der Kunst nachdenken. Ortsspezifik umfasst künstlerische Produktions- und Präsentationsweisen, die Kontextbedingungen und die Bezugsmöglichkeiten auf verschiedene ökonomische, politische, gesellschaftliche und kulturelle Register reflektieren.
Von den anti-kommerziellen ort-spezifischen Praktiken am Ende der 1960er Jahre bis zur Transformation des Raums durch den Klang jamaikanischer Soundsysteme; von der Polemik des Werkes „Tilted Arc“ (Richard Serra, 1981–89) im öffentlichen Raum in New York, bis zu den Land-Art Projekten von Nancy Holt; die Permutationen der ortsspezifischen Kategorie setzen sich in der Gegenwart fort. Es gibt site-specific Praktiken, die entmaterialisiert sind – wie bei der Arbeit „This Progress“ (2006) von Tino Sehgal, in der er die von Frank Lloyd Wright entworfene Rotunde des Solomon R. Guggenheim Museums in New York von allen physischen Kunstwerken befreite und die ikonische Rampe als Plattform für einen Diskurs nutzte. Andere ortspezifische Kunstwerke beziehen sich auf die Ökologie, wie „Restauro“, die auf der São Paulo Biennale 2016 von Jorge Menna Barreto präsentiert wurde: Der Künstler besetzte das Biennale-Restaurant und kochte während der Biennale nur mit Lebensmitteln aus dem regionalen Agro-Wald, in Kooperation mit MST, einer sozialen Bewegung für Agrarreformen.
Wir werden verschiedene Arten der Ortspezifik in der Kunst diskutieren, darunter Projekte, die sich mit Institutionskritik beschäftigen. Das Seminar bietet Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen künstlerischen Positionen, die uns helfen werden, die physischen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen von Projekten und Räumen zu erfassen, die den Kontext eines Kunstwerkes bilden.
Literatur
Barreto, Jorge Menna und Garbelotti, Raquel: Specificity and (un)translatability. Translation to English: Gavin Adams. Link: jorggemennabarreto.com
Deutsche, Rosalyn: Agoraphobia. In: Evictions: art and spatial politics. The MIT Press, London, England, 1996 (S. 269).
Fraser, Andrea: Was ist Instituitionskritik? In: "Institutionskritik". Texte zur Kunst, Nr. 59, September 2005, S. 86–89.
Kwon, Miwon: One place after another: site-specific art and locational identity. Boston: The MIT Press, 2002.
Lippard, Lucy: The Lure of the Local: senses of Place in a Multicultural Society. New York: New Press, 1997.
Smithson, Robert: A Tour of the Monuments of Passaic, New Jersey (1967). In: The collected writings edited, with an Introduction by Jack Flam. University of California Press, London, England, 1996. Originally published: The writings of Robert Smithson. New York: New York University Press 1979.
Name der Lehrenden / Name of Teacher
Dr. Ana Hupe
Veranstaltungsart und -methodik / Teaching and working methods
Seminar
Lernziel, Qualifikationsziele / Objectives, Learning Outcome
- Einführung in kunst- und kulturwissenschaftliche Methoden und Epochen
- Verständnis für disziplinäre und transdisziplinäre Theorien und Methoden
- Erweiterung des eigenen methodischen Spektrums
- Reflexion eines kulturhistorischen und gesellschaftlichen Diskursfeldes
Veranstaltungsart und -methodik / Teaching and working methods
Seminar
Verwendbarkeit / Applicability
Kunstgeschichte (Diplom Kunst); Kunstgeschichte I oder II (Lehramt); MA Kunstwissenschaften: Modul 2 (Theorien und Diskurse);
Beurteilung / Assessment
Teilnahme (T), Hausarbeit (H), mündliche Prüfung insbesondere für Lehramt, Kunstgeschichte II
Zugangsvoraussetzung / Prerequisites
keine
Umfang in SWS / Semester periods per week
2 SWS