Dieses Seminar schlägt vor, archivarische Praktiken in der zeitgenössischen Kunst zu diskutieren. Wir werden zusammen über die Idee des Archivs als Prinzip der ästhetischen Kreation nachdenken und erörtern wie Künstler*innen Zeichen der Geschichte kombinieren, um multiple Narrativen zu erschaffen. Neben der Analyse von Werken, die sich mit Archiven auseinandersetzen, werden wir dekoloniale Theorien lesen, die Möglichkeiten erschaffen, eine kritische Perspektive gegenüber Archiven zu entwickeln.
Welche Politik des Begehrens treibt die verschiedenen Inventarisierungsinitiativen und ihre Präsentationsmodi im Kontext der aktuellen Kunst an? Wie schaffen archivarische künstlerische Mittel Bedingungen, um sensible Erfahrungen in der Gegenwart zu aktivieren?
Im Horizont der Fragen, die wir stellen werden, geht es darum, Archive heute in ihren inhärenten politischen Gesichtern zu denken, die zunehmend als kritischer Motor zeitgenössischer Narrative beansprucht werden, verbunden mit Themen wie Abstammung oder kollektive Erinnerungen. Das Archiv als Mittel der Erinnerung und Erfindung in der Kunst artikuliert sich in Verbindung mit den Debatten über Informations-, Bild- und Diskursflüsse.
Der Kurs setzt einen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis der brasilianischen Künstler*innen Helio Oiticica (1937 - 1980) und Lygia Clark (1920 - 1988). Wir werden uns auf die Forschungen von Frederico Coelho stützen. Coelho analysierte Oiticicas Schriften während seines siebenjährigen Selbstexils in New York. Die Forschung der Psychoanalytikerin und Kunstkritikerin Suely Rolnik zum Werk der Künstlerin Lygia Clark wird uns auch unterstützen. Clark und Oiticica haben in den 1960er und 70er Jahren Arbeiten präsentiert, die heute als “relational Aesthetics" verstanden werden können. Diese waren von der Beteiligung der Betrachter*innen abhängig, um zu existieren. Oiticica war einer der Pioniere, die das Universum der Favela ins Museum brachten. Was könnten diese Künstler heute produzieren, in einer Zeit, in der wir eine Krise der Repräsentation in der Kunst erleben? Wie werden diese Werke heute in Europa und den USA ausgestellt? Diese Fragen werden uns helfen, eine kritische, antikoloniale Perspektive auf die heutige Kunstproduktion zu entwickeln. Wir werden daher auch Werke junger Künstler*innen, die sich mit dem Erbe von Clark und Oiticica auseinandersetzen, zusammen diskutieren.
Empfohlene Literatur:
- FOSTER, Hal. An archival impulse. October, 2004. https://monoskop.org/images/6/6b/Foster_Hal_2004_An_Archival_Impulse.pdf
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COELHO, FREDERICO, Subterranean Tropicalia Projects – Newyorkaises – Conglomerado: the infinite book of Hélio Oiticica. In Catalogue: Hélio Oiticica: To organize Delirium, Published by Prestel, 2016.
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ROLNIK, Suely. Archive Mania / Archivmanie. In: 100 Notes – 100 Thoughts / 100 Notizen – 100 Gedanken, Nº022, Documenta (13), 2012.
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TAYLOR, Diana. The archive and the repertoire – performing cultural memory in the Americas. Duke University Press, 2003. (Introduction)
In der Serie Native Brazil/Alien Brazil (1976/1977) benutzt die Künstlerin Anna Bella Geiger Postkarten, die auf idealisierte Weise das tägliche Leben der Bororo, eines indigenen Volkes des Bundesstaates Mato Grosso (Brasilien), darstellen. Diese Bilder werden als ziemlich pervers empfunden, wenn man sie im Kontext der 1970er Jahre in Brasilien betrachtet, als die indigene Bevölkerung unter der Gewalt der Politik der Militärdiktatur litt. Für jede Postkarte entwickelte die Künstlerin Lesarten, die auf Porträts von ihr selbst und ihrer Familie basieren, die auf der Veranda ihres Hauses gemacht wurden. In dieser Arbeit, wie auch in verschiedenen anderen, hinterfragt Geiger die hegemonialen Narrative, Brasiliens koloniale Vergangenheit und die soziale Realität des Landes, indem sie Politik, Selbstdarstellung, Ironie und Fiktion artikuliert, oft aus einer autobiografischen Perspektive.
Ana Hupe (Rio de Janeiro, lebt in Berlin) ist Künstlerin und Forscherin, promoviert in Bildender Kunst an der Bundesuniversität Rio de Janeiro (2016), nachdem sie ein Jahr lang an der UdK Berlin in der Klasse von Hito Steyerl geforscht hat. Hupe widmet sich der Rettung ausgelöschter Geschichten des Widerstands, die sie in mehreren Erzählinstallationen neu schreibt und so eine Gegenerinnerung an das koloniale Archiv schafft. Für ihre aktuelle Ausstellung “Footnotes to triangular Cartographies” recherchierte Hupe die historische Beziehungen zwischen Nigeria, Kuba und Brasilien durch die Yoruba-Kultur. Hupe war Teil mehrerer Kollektivausstellungen in Räumen wie Savvy Contemporary, Berlin; M_Bassy, Hamburg; Haus am Kleistpark, Berlin; und in Residenzen wie “Vila Sul”, Goethe Institut Salvador; “Artist x Artist”, Kuba; Kunstkvarteret Lofoten, unter anderen.
Lernziele, Qualifikationsziele / Objectives, Learning Outcome
- New Art History
- Postkoloniale Theorien
- Einsicht in die Kontextabhängigkeit von kunst- und kulturhistorischen Zusammenhängen
- Erweiterung des eigenen methodischen wie theoretischen Spektrums