Momentan werden einige geschichtsmächtige Narrative neu konfiguriert. Unterschiedliche Gruppierungen beanspruchen eine Deutungshoheit darüber, was kulturell maßgeblich sei und was aus der Überlieferung bis heute Gültigkeit habe. Im Zuge der Dekolonisierung kommen (für uns) neue Perspektiven ins Spiel.
Wie gehen Künstler*innen mit der Geschichte um? Welche Strategien der Aneignung verwenden sie?
Künstler*innen wie Kader Attia, Yael Bartana, Christian Boltanski, Berlinde de Bruyckere, Hanne Darboven, Thomas Demand, Omer Fast, Jochen Gerz, Emily Jacir, Anselm Kiefer, Ilya & Emilia Kabakov, Jannis Kounellis, Anna Oppermann, Anne & Patrick Poirier, Mario Garcia Torres, Rachel Whiteread, Arthur Zmijewski, die koreanische Forscher*innengruppe ikkibawiKrrr ... fassen Erinnerung und Eingedenken als eine notwendige Basis ihres Schaffens und des Umgangs mit der Gegenwart auf. Doch die Bezugnahme auf die Vergangenheit ist äußerst unterschiedlich. Neben der Berufung auf ein individuelles Gedächtnis oder die kollektive Historie treten Spurensuche, Re- und Preenactment, eine Ironisierung der Dokumentengläubigkeit, ein Aushebeln moralischer Gewissheiten, Strategien von rewriting history – aber auch die Sehnsucht nach dem Souvenir. Verbunden mit einem aufklärerischen Anspruch sind der Wille, den Funken der Erkenntnis und der Hoffnung aus der Geschichte zu schlagen (Walter Benjamin) – oder das ikonoklastische Aufbrechen des Überkommenen.
Im Seminar werden wir verschiedene künstlerische Positionen und ihre Ideenhintergründe diskutieren und in der ersten Sitzung gemeinsam die Schwerpunkte dafür festlegen. Aus der Fülle des Materials werden wir einschlägige Texte herausgreifen, darunter auch Konzepte wie die „multidirektionale Erinnerung“ (Michael Rothberg) oder die provokativen Thesen eines „Katechismus der Deutschen“ (Dirk Moses) diskutieren.
Besuche von Ausstellungen ergänzen das in den Seminarsitzungen Besprochene. So werden wir uns die Ausstellung „YOYI! Care, Repair, Heal“, kuratiert von Kader Attia, im Gropius Bau, Berlin, ansehen; in Eisenhüttenstadt Utopie und Alltag nachspüren; exemplarische Gedenk- und Erinnerungsorte besuchen; kolonialen Präsenzen in Berlin folgen; die neue Präsentation im Deutschen Historischen Museum unter dem Titel „Roads not taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können“ kritisch unter die Lupe nehmen. Es soll bei diesen Besuchen sowohl das „was“ als auch das „wie“ der Präsentationen berücksichtigt werden.
Grundlegende, für alle verbindlich zu lesende Literatur:
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Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte (1949), u.a. in: Illuminationen, Frankfurt/M 1977.
Einführende Literatur:
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Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2014.
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Deep Storage. Arsenale der Erinnerung. Ausst.-Kat. München/Berlin/Düsseldorf/Seattle, München/New York 1997/98.
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Gudehus, Christian: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010.
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Pethes, Nicolas: Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien zur Einführung, Hamburg 2008.
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Michael Rothberg: Multidirektionale Erinnerung. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung, Bonn 2021. (über die bpd für 4,50 € zu erwerben)
Verwendbarkeit / Applicability
Kunst (Diplom): Kunstgeschichte; Kunst Lehramt: Kunstgeschichte I oder II, Wahlpflicht; Master Kunstwissenschaften: Modul 1 (Methoden), Modul 2 (Theorien und Diskurse), Modul 3 (reflexive Praktiken), Modul 7 (vertiefende Formate) sowie projektbegleitend
Lernziele, Qualifikationsziele / Objectives, Learning Outcome
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fundiertes und vertieftes Verständnis von wissenschaftlichen Methoden der Kunst- und Kulturwissenschaften
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Verständnis für disziplinäre und transdisziplinäre Theorien
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Erweiterung des eigenen methodischen Spektrums
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Einblick in die historische Entwicklung von Analysemodellen und kunsthistorischer Fragestellungen
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Reflexion eines kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Diskursfeldes
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Entwicklung eigener Forschungsansätze auf der Basis der Vernetzung, Reflexion und Pointierung des Themenspektrums
Beurteilung / Assessment
Teilnahme (T), Hausarbeit (H), mündliche Prüfung nur für Lehramt, Kunstgeschichte II
Scheinerwerb: Werkbesprechung bzw. Referat mit Verschriftlichung oder Hausarbeit
Umfang in SWS / Semester periods per week
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